Engschnüren
Der Begriff Engschnüren (englisch: Tightlacing, auch "Korsett-Training" und "Taillen-Training" genannt) bezeichnet die Praxis des Tragens eines eng geschnürten Korsetts, um extreme Veränderungen der Körperfigur und -haltung zu erreichen und die Empfindungen eines sehr engen Korsetts unmittelbar zu erleben. Die diese Praxis ausübenden Personen werden Engschnürer (Tightlacer) genannt. Einige Engschnürer nennen die Korsetts, die sie tragen, Trainingskorsetts.
Beschreibung
Das häufigste Ziel des Engschnürens besteht darin, den Umfang der eigenen Taille zu verringern, wobei je nach angestrebter Silhouettenform auch die Form des Brustkorbs verändert werden kann. Das Tragen eines Korsetts kann auch die Höhe und Form der Oberweite verändern, indem es die Brüste anhebt und formt, den Bauch abflacht und die Körperhaltung verbessert. Diese Effekte sind jedoch nur vorübergehend und gehen verloren, sobald das Korsett entfernt wird. Es gibt sogar Vermutungen, dass das übermäßige Tragen von Korsetts bestimmte Muskeln schwächt, so dass es schwieriger wird, die durch dasselbe erreichte Haltung ohne es aufrechtzuerhalten.
Während einige Engschnürer ihre Taille so schmal wie möglich machen wollen, ziehen es andere vor, ihre Taille lediglich bis zu einem bestimmten Grad zu reduzieren, da sie der Meinung sind, dass Proportionen und Ästhetik wichtiger sind als das Herbeiführung des schmalsten Umfangs. So streben beispielsweise männliche Crossdresser[wp] und einige Transfrauen oft eine realistische weibliche Figur, aber keine Wespentaille an.
Geschichte des Engschnürens
Korsetts kamen erstmals im 16. Jahrhundert zur Anwendung und blieben bis zur Französischen Revolution (1789) ein Bestandteil der modischen Kleidung. Diese Korsetts dienten hauptsächlich dazu, den Oberkörper in die modische Zylinderform zu bringen, obwohl sie auch zur Verengung der Taille führten. Die Korsetts dieser Zeit waren mit Schulterträgern ausgestattet, die an der Taille endeten, wodurch sowohl die Brust abflacht als auch die Brüste nach oben gedrückt wurden. Die Betonung des Korsetts lag weniger auf der schmalen Taille als auf dem Kontrast zwischen der starren, flachen Vorderseite des Miederteils und den geschwungenen Spitzen der Brüste, die über das Korsett hinausragen. Zu dieser Zeit gibt es keine Aufzeichnungen über Engschnürer.
Danach geriet das Korsett in Vergessenheit. Die Mode übernahm die Empire-Silhouette: ein griechisch-römischer Stil, bei dem die knappen Röcke unter dem Busen gerafft und die Taille betont wurden, und Kleider, die aus dünnem Musselin statt aus den schweren und dem aristokratischen Modestil entsprechenden Stoffen Brokat und Satin genäht wurden.
Die Dominanz der Empire-Taille währt nur von 1795-1820 und damit nur für einen relativ kurzen Zeitraum. In den 1830er Jahren verbreitern sich die Schultern (mit bauschigen Gigot-Ärmeln oder Volants), die Röcke werden breiter (Lagen von versteiften Petticoats), die Taille wird schmaler und wandert in Richtung ihrer "natürlichen" Position. In den 1850er Jahren entsprachen übertrieben breite Schultern nicht mehr dem aktuellen Modetrend, und die Taille wurde über einem weiten Rock an der natürlichen Taille eingeschnürt. Die Kleidermode hatte das erreicht, was wir heute als die viktorianische Silhouette bezeichnen.
In den 1830er Jahren ließen die künstlich aufgeblähten Schultern und Röcke die dazwischen liegende Taille schmal erscheinen, selbst wenn das Korsett nur mäßig geschnürt war. Als die Schulterpolsterung unpopulär wurde, musste die Taille selbst eng geschnürt werden, um den gleichen Effekt zu erzielen. In den 1840er und 1850er Jahren wird die enge Schnürung erstmals erwähnt. Es war eine gewöhnliche Mode, die auf die Spitze getrieben wurde.
In Anbetracht der Tatsache, dass man davon ausging, dass eine korsettierte Taille das damalige Idealmaß darstellte, ist es aus der Retrospektive schwierig, den Grad der praktizierten Schnürung genau zu definieren oder Auskunft darüber zu geben, welcher Anteil der Frauen der viktorianischen Zeit dieselbe praktizierte. Wir können uns nicht an den heutigen Taillenmaßen orientieren, denn:
- Die Körpergröße der Frauen hat sich seit dem 19. Jahrhundert gesteigert, so dass Taillenmaße, die heute als klein erscheinen, von den viktorianischen Frauen möglicherweise nicht so empfunden wurden.
- Es wahrscheinlich anzunehmen, dass Frauen verhältnismäßig größere Verkleinerungen als selbstverständlich hinnahmen, ohne sich als Engschnürer zu betrachten, da das Tragen von Korsetts im neunzehnten Jahrhundert die Norm dargestellt hatte.
Es erscheint wahrscheinlich davon ausgehen, dass junge und modebewusste Frauen am ehesten ein Korsett trugen, vor allem zu entsprechenden Anlässe, wie Bällen, modischen Zusammenkünften und ähnlichen Veranstaltung der Zurschaustellung. Ältere, ärmere und sittsamere Frauen praktizierten die Schnürung nur mäßig und strebten einen Grad an Schnürung an, der als anständig galt.
Die viktorianischen und edwardianischen Korsetts unterschieden sich in vielerlei Hinsicht von früheren Korsetts. Das Korsett endete nicht mehr an der Taille, sondern weitete sich aus und endete einige Zentimeter unterhalb der Taille, hat keine zylindrische Form mehr, sondern war übertrieben kurvenreich, und war wegen des Einsatzes der verbesserten, zeitgenössischen Technik wesentlich stabiler. Die spiralförmigen Stahlstreben wölbten sich mit der Figur, anstatt eine zylindrische Silhouette zu diktieren. Während viele Korsetts noch von Hand nach den Maßen der Trägerin genäht wurden, gab es auch einen florierenden Markt für billigere, in Massenproduktion hergestellte Korsetts.
In den späten Jahren des viktorianischen Zeitalters wurde in medizinischen Berichten und Gerüchten behauptet, dass enge Korsetts der Gesundheit abträglich seien. Frauen, die darunter litten, eine schmale Taille zu bekommen, wurden zusätzlich für ihre Eitelkeit verurteilt und von der Kanzel als Sklaven der Mode beschimpft. Häufig wurde behauptet, eine zu schmale Taille sei nicht schön, sondern hässlich. Kleiderreformer forderten die Frauen auf, sich von der Tyrannei der Korsetts zu lösen und ihre Taille für Arbeit und gesunde Bewegung freizugeben.
Trotz der Bemühungen der Kleiderreformer, das Korsett abzuschaffen, und trotz medizinischer und kirchlicher Warnungen hielten die Frauen an der engen Schnürung fest, solange es in Mode war. In den frühen 1900er Jahren kam das schmale Taillenkorsett allmählich aus der Mode. Die Frauenbewegung und die Kleiderreform machten praktische Kleidung für Arbeit und Sport akzeptabel. Mit dem Aufkommen der Artistic-Dress-Bewegung wurden lockere Kleidung und eine natürliche Taille auch in der Abendgarderobe modern. Modeschöpfer wie Fortuny und Poiret entwarfen exotische, verführerische Kostüme aus plissierter oder drapierter Seide, die einen schlanken, jugendlichen Körper zur Geltung bringen sollten. Wenn man einen solchen Körper nicht hatte, versprachen die neuen Unterkleider, der Büstenhalter und das Mieder, die Illusion eines solchen Körpers zu vermitteln.
Korsetts waren nicht mehr in Mode, aber einige Männer fanden sie immer noch sexy. Korsetts tauchten in der Unterwelt des Fetischs auf, zusammen mit Gegenständen wie Bondage-Ausrüstung und Vinyl-Catsuits. In den 1980er und 1990er Jahren wurde die Fetischkleidung zu einem Modetrend, und das Korsett erlebte einen gewissen Aufschwung. Sie werden oft als Oberbekleidung und nicht als Unterwäsche getragen. Die meisten Korsettträgerinnen besitzen jedoch ein oder zwei Bustiers für die Abendgarderobe; sie schnüren nicht zu. Historische Reenactors tragen auch Korsetts, aber nur wenige mit Schnürung.
Engschnüren heute
Die Praktik des Engschnürens wird gegenwärtig nur von einer sehr kleinen Minderheit von Personen ausgeübt, welches von der Allgemeingesellschaft mit einem fetischistischen Interesse am Korsett und der BDSM-Subkultur in Verbindung gebracht wird. Die Mehrheit der Engschnürer sind Frauen, obwohl auch einige Männer sich eng schnüren.
Engschnürer tragen in der Regel mindestens 12 Stunden am Tag ein Korsett, jeden Tag, wenn sie am aktivsten sind, obwohl einige Engschnürer Korsetts bis zu 23 Stunden am Tag tragen und das Korsett nur zum Baden oder Duschen ablegen.
Engschnürer haben in der Regel einen Partner, einen so genannten Trainer, der ihnen hilft und sie unterstützt. Es ist jedoch für einen einzelnen Menschen auch möglich, wenngleich auch sehr schwierig, ohne Hilfe einer anderen Person ein Korsett anzulegen. Engschnürer führen oft - aber nicht unbedingt - eine sexuelle und/oder romantische Beziehung mit ihrem Trainer.
Ein Partner könnte eine der folgenden Aufgaben übernehmen:
- Hilfeleistung beim An- und Ausziehen des Korsetts, insbesondere beim Festziehen der Schnürbänder
- Hilfeleistung bei der Einhaltung des Trainingsplans
- die Überwachung des Gesundheitszustands des Enggeschnürten
- Überwachung der körperlichen Veränderungen, insbesondere durch die Führung eines einschlägigen Protokolls
Auswirkungen von Engschnürung auf den Körper
Eine typische Trainingsroutine beginnt mit der Verwendung eines stabilen - maßgeschneiderten - Korsetts, um sukzessive über einen längeren Zeitraum Taillenumfang zu reduzieren. Die zu schnell durchgeführte und enge Schnürung kann zu zum Teil schwerwiegenden, langfristigen Gesundheitsschäden und möglichen kurzfristigen Beschwerden wie Kurzatmigkeit und Ohnmachtsanfällen, Verdauungsstörungen und Hautabschürfungen führen.
Die wichtigste Auswirkung der engen Schnürung ist die Verringerung des Taillenumfangs. Die kleinste aufgezeichnete Taille ist die von Ethel Granger[wp], die sich fast ihr ganzes Leben lang eng schnürte und eine Taille von dreizehn Zoll erreichte: eine Verkleinerung um mehr als zehn Zoll. Solche extremen Verkleinerungen brauchen sehr viel Zeit, um erreicht zu werden. Zu Beginn werden Korsetts empfohlen, deren Taillenumfang vier Zentimeter unter dem natürlichen Taillenumfang der Engschnürerin liegt. Wie lange ein Engschnürer braucht, um sich an diese Verkleinerung zu gewöhnen, hängt von seiner oder ihrer Physiologie ab; eine große Menge Fett am Rumpf und starke Bauchmuskeln bedeuten, dass es länger dauert, bis der Engschnürer sein Korsett hinten geschlossen trägt. Danach ist es nicht viel schwieriger, weitere Zentimeter zu reduzieren, aber jeder weitere Zentimeter kann bis zu einem Jahr dauern.
Die verringerte Taille und das enge Korsett verringern das Volumen des Oberkörpers. Manchmal wird dieses Volumen durch Korsettformen, die den Rumpf zur Taille hin verjüngen, noch weiter verringert, wodurch die unteren Rippen nach innen gedrückt werden. Infolgedessen werden die inneren Organe enger zusammengerückt und aus ihrer ursprünglichen Position verdrängt, ähnlich wie die sich ausdehnende Gebärmutter eines schwangeren Weibes eine Verschiebung der Organe bewirkt.
Das Lungenvolumen nimmt ab, und der Engschnürer neigt dazu, interkostal zu atmen, das heißt nur mit dem oberen Teil der Lunge und nicht mit der gesamten Lunge (siehe flache Atmung). Die Interkostalatmung ist der Grund für das Bild des "hängenden Busens". Da der untere Teil der Lunge weniger beansprucht wird, kommt es dort oft zu einer Schleimbildung; ein leichter und anhaltender Husten ist das Zeichen dafür, dass der Körper versucht, diesen zu beseitigen (und könnte auch zu der viktorianischen Hypothese geführt haben, dass Korsetts Tuberkulose verursachen).
Die Leber wird nach oben gedrückt. Da sie sich ständig erneuert, passt sie sich an ihre neue Position an, und bei langjährigen Korsettträgern kann sie dort, wo sie an den Rippen anliegt, Wülste entwickeln. Es ist auch möglich, dass die Engschnürung bei einigen Lebern die Tendenz zur Bildung von Nebenlappen verstärkt, bis zu dem Punkt, an dem der Nebenlappen so groß wie der Hauptteil der Leber wird. Die Stelle, an der sich Lappen und Leber verbinden, kann recht dünn sein, was wiederum zu einem der viktorianischen Mythen über Engschnürung geführt haben könnte: dass eine Engschnürerin ihr Korsett so eng tragen kann, dass es ihre Leber in zwei Hälften "schneidet".
Das Zusammenpressen des Magens verringert dessen Volumen, und Engschnürer stellen fest, dass sie bei zu viel Essen Verdauungsstörungen und Sodbrennen bekommen; Lebensmittel wie kohlensäurehaltige Getränke und Bohnen können leicht Blähungen verursachen. Der Druck auf den Darm kann zu Verstopfung führen. Viele Engschnürer stellen ihre Ernährung um, um diese Probleme zu vermeiden.
Theoretisch ist es möglich, sich beim Engschnüren die Rippen zu brechen, obwohl der erforderliche Druck brutal wäre und die Enggeschnürte akute Schmerzen verspüren würde.
Netzverweise
- Staylace.com, die Webseite der Long Island Staylace Association (LISA) hat weitere Information über medizinische Bedenken und Folgen des Engschnürens. (englisch)
- Korsettträger sprechen über die Wirkung/Folgen des Engschnürens (englisch)