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Austerität

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Der Begriff Austerität war vor nicht allzu langer Zeit allenfalls Lesern von volkswirtschaftlicher Fachliteratur bekannt. Erst seit Mitte der Achtzigerjahre wird er etwas häufiger benutzt, lässt sich anhand von elektronischen Archiven nachweisen. Karriere machte er im vergangenen Jahrzehnt. Zwar steht er schon 1970 erstmals in der "Zeit", aber von 91 Belegen aus diesem Wochenblatt stammen 67 aus der Zeit ab 2006.

Die in jenem Jahr erschienene vier­und­zwanzigste Auflage des Dudens verzeichnet allerdings nur das aus dem Englischen entlehnte Fremdwort Austerity mit der Bedeutung "strenge wirtschaftliche Beschränkung". Diese Form taucht seit den Vierziger­jahren in deutschen Texten auf. Das "Anglizismen-Wörterbuch" von Uwe Carstensen definiert Austerity als "Sparpolitik, die durch Drosselung der laufenden Ausgaben im öffentlichen und privaten Bereich der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation dient".

Erst als Austerity durch die Politik von Ronald Reagan[wp] in den USA und Margaret Thatcher[wp] in Großbritannien zum Leitbild von Konservativen und Neoliberalen auch hierzulande wurde, sah man sich genötigt, das Wort einzudeutschen. Eine besondere Pointe ist dabei, dass das englische Wort von einem Linken geprägt wurde: Labour-Schatzkanzler und Handelsminister im Kabinett von Winston Churchill, Stafford Cripps[wp], hat es 1942 als Erster für eine Politik staatlicher Sparsamkeit gebraucht, die man auf deutsch wohl auch Merkantilismus nennen würde.

Stafford Cripps bleibt auch nach dem Krieg seiner Austerity-Politik treu - nun als Handelsminister im Kabinett von Premierminister Clement Attlee. Ein "Zeit"-Korrespondent schreibt 1946: "Austerity heißt das neuerdings so populär gewordene englische Schlagwort." In dem Artikel wird Cripps' Politik so erklärt: "Er sieht voraus, dass Warenerzeugung, nach den strengen Richtlinien eines Gesamtplans, nur auf wirklich lebenswichtige Dinge beschränkt bleiben wird und dass Luxuswaren, die darüber hinaus - vielleicht - hergestellt werden, nur für die Ausfuhr produziert werden; nicht aber dem inneren Markt zugute kommen." Der Autor weist darauf hin, dass diese Austerity-Politik nach Sozialismus rieche, und in der Tat hat ja noch die DDR ähnliche Rezepte probiert.

Für die Eindeutschung von Austerity konnte man auf ein viel älteres deutsches Wort zurückgreifen, dessen ursprüngliche Bedeutung verloren gegangen war: Mindestens seit dem 17. Jahrhundert gebrauchten Deutsche Austerität im Sinne von "Bitterkeit" (sowohl chemisch als auch emotional), "rigorose Strenge" aber auch "Ungerechtigkeit". Vorbild war das seit 1606 belegte französische Wort austerité (Herbheit).

Über die alte Bedeutung

Friedrich Schiller[wp] umschreibt Austerität 1795 in seiner epochalen ästhetischen Programmschrift "Über naive und sentimentalische Dichtung" mit "Bitterkeit der Seele": "Auch der philosophische Geist, da er mit unerbittlicher Strenge den Schein von dem Wesen trennt, neigt zu dieser Härte und Austerität, mit welcher Rousseau[wp], Haller[wp] und andre die Wirklichkeit mahlen."

Weitere Beispiele: Christian Weise[wp] meint 1690, die "Austerität der Handlung" müsse bei Tragödien gelegentlich durch komische Elemente wie den Aufritt des Clowns Pickel­hering "temperirt", also erträglich gemacht werden. Und Erasmus Francisci mahnt 1676 seine Zeitgenossen, sie sollten netter zueinander sein: "Denn die natürliche Austerität und Unfreundlichkeit kan nichts destoweniger durch die sittliche Freundlichkeit, zumal wenn sich diese mit Gaben oder Dienst­hafftigkeit beliebt machet, gemiltert, wo nicht gar überwunden und in gemachte Leutseligkeit verwandelt werden."

Auch in den Fachsprachen der Juristen und Chemiker ist das Wort damals gebräuchlich: 1668 wird in der staats­rechtlichen Schrift "Der beyden Kronen Franckreich und Spanien zu dieser Zeit obschwebende Streitigkeiten wegen deß Devolutions Rechts" geklagt, es sei eine "austerität und unbillichkeit", dass in den "General Costnymen von Artois" festgelegt werde, die zweite Frau dürfe nicht von den Gütern der ersten Frau eines Mannes profitieren. In chemischen Schriften des Barock und der Aufklärung stellen Autoren wie Johann Gottfried Geilfuß ("Unterricht vom Sauer- und Brodel­brunnen zu Langen-Schwalbach") die Austerität der Acidität beiseite, die beide "versüßet" werden müssten.

Dieser alte Sinn gerät im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts in Vergessenheit. Zwar ist Austerität 1879 in der sechzehnten Auflage von Joahann Christian Augusts Fremdwörterbuch noch mit den Bedeutungen "die Herbe, Strenge; Finsterkeit, Unfreundlichkeit, der Ernst, Murrsinn" verzeichnet, doch nur noch als nicht fett gedrucktes Unter-Lexem zum Adjektiv austère. Im Zwanzigsten Jahrhundert nimmt es dann, wie beschrieben, seinen heutigen politischen Sinn an, wird erst zum Schlüsselbegriff des Neoliberalismus und schließlich zum Feindwort aller Linken.

Dieser Artikel basiert gekürzt auf dem Artikel Dieses Wort lässt die globale Linke vor Wut beben von Matthias Heine, 20. Oktober 2015.