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Yukos-Urteil

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Im so genannten Yukos-Urteil hat im Februar 2024 ein niederländisches Gericht Russland dazu verurteilt, den vormaligen Aktionären des Erdölkonzerns Yukos, dessen damaliger Vorstands­vorsitzender der rechtskräftig verurteilte Betrüger und ehemalige russische Oligarch Michail Chodorkowski war, 50 Milliarden US-Dollar Entschädigung zu zahlen.

Ein niederländisches Gericht hat in dem fast 20 Jahre andauernden Rechtsstreit um den ehemaligen russischen Erdölkonzern Yukos ein endgültiges Urteil gesprochen und Russland dazu verurteilt, den Aktionären rund um den rechtskräftig verurteilten Betrüger und ehemaligen russischen Oligarchen Michail Chodorkowski 50 Milliarden Dollar zu bezahlen. Natürlich erkennt Russland das Urteil nicht an, aber es dürfte trotzdem Folgen haben. Schauen wir uns also an, worum es dabei geht und welche Folgen das Urteil haben kann.

Die Vorgeschichte

Es ist kein Geheimnis, dass die russischen Oligarchen[wp] der 1990er Jahre ihre Vermögen auf nicht unbedingt legalem Wege gemacht haben. In den 90er Jahren herrschte in Russland nicht gerade das Gesetz, sondern es waren die Jahre des weitgehend vom Westen gesteuerten Präsidenten Jelzin[wp], unter dessen Herrschaft der russische Staat von einer kleinen Gruppe mächtiger Leute ausgeplündert wurde. Gesetze spielten dabei keine entscheidende Rolle, denn teilweise herrschten Anarchie und die damals gefürchtete russische Mafia.

Damals gab es in Russland tatsächlich Oligarchen, denn laut Definition ist ein Oligarch ein sehr reicher Mensch, der seinen Reichtum dazu nutzt, die Politik zu beeinflussen und so seinen Reichtum und seine Macht weiter auszubauen. Genau das taten die russischen Oligarchen der 90er Jahre, indem sie nicht nur ihr Geld, sondern auch die russischen Medien, die ihnen damals gehörten, in ihrem Interesse einsetzten, um Macht und Vermögen anzuhäufen.

Als Putin im Jahr 2000 russischer Präsident wurde, rief er kurz darauf die Oligarchen in den Kreml und verkündete ihnen seine Sicht darauf, wie die Dinge in Russland künftig laufen sollten. Vor laufenden Fernseh­kameras macht Putin ihnen vereinfacht gesagt folgendes Angebot: Die Oligarchen sollten sich künftig aus der Politik heraushalten und ihre Medien nicht mehr politisch einsetzen, dafür würde der russische Staat ihre Machenschaften aus 90er Jahren nicht untersuchen. Sie sollten künftig Steuern zahlen und auch die Löhne für ihre Arbeiter, die in den 90er Jahren oft monatelang nicht ausgezahlt wurden, ab sofort pünktlich bezahlen.

Mit anderen Worten: Sie sollten aufhören, Oligarchen zu sein und zu "echten" Geschäftsleuten werden. Sie durften Milliardäre bleiben und weiter Geld verdienen, sollten sich aber aus der Politik heraushalten.

Die meisten Oligarchen nahmen das Angebot an, aber einige wollten weitermachen, wie zuvor. Gegen die begannen Staatsanwälte zu ermitteln und sie hatten keine Schwierigkeiten, Gesetzes­verstöße zu finden und Verfahren zu eröffnen. Viele Oligarchen hatten in den 90er Jahren ihre Steuern nicht bezahlt, sie hatten sich manche Vermögenswerte mit fragwürdigen Methoden angeeignet und so weiter.

Michail Chodorkowski

Einer der Oligarchen, der sich nicht an die neuen Regeln, also schlicht an geltende Gesetze, halten wollte, war Michail Chodorkowski. Er galt damals als reichster Oligarch Russlands, dessen Reichtum sich vor allem auf seinen Erdölkonzern Yukos stützte, der damals der größter Erdölkonzern Russlands war. Chodorkwoski wurde verhaftet und ihm wurde der Prozess wegen Steuer­hinterziehung, Betrug, Geldwäsche und anderen ähnlichen Delikten gemacht. Dagegen hat Chodorkowski sich gewehrt und ist zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat 2011 in seinem Urteil zwar einige Dinge bemängelt, zum Beispiel die Haftbedingungen, aber im Kern wurde Chodorkowskis Klage abgewiesen:[1] Der Gerichtshof bestätigte, dass der russische Staat korrekt gehandelt hat, als er Chodorkowski angeklagt hat, und fand auch nicht, dass das Verfahren politisch motiviert war. Er bestätigte die Verbrechen von Chodorkowski.

Chodorkowski hat noch ein weiteres Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt, in dem es um sein Berufungsverfahren in Russland ging. 2020 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Urteil gefällt[2] und wieder hat der Gerichtshof zwar einige Mängel festgestellt, aber im Kern wurde Chodorkowskis Klage auch dieses Mal abgewiesen. Der Gerichtshof bestätigte erneut, dass es sich nicht um ein politisch motiviertes Verfahren gehandelt hat und mehr noch: Der Gerichtshof bescheinigte den russischen Richtern sogar ausdrücklich, absolut unabhängig gewesen zu sein.

Chodorkowski wurde schon 2013 von Präsident Putin begnadigt und er lebt seitdem im Westen, von wo aus er seinen Kampf gegen Putin weiterführt. Ich habe beispielsweise oft über sein Dossier Center in London und dessen Methoden berichtet.[3]

Da Yukos nach Chodorkowskis Festnahme zerschlagen wurde, hat Chodorkowski Russland zusammen mit einigen Freunden auf Entschädigung verklagt. Ein niederländisches Gericht hat nun sein Urteil gesprochen und Chodorkowski recht gegeben. Dazu übersetze ich einen Artikel der russischen Nachrichten­agentur TASS, der die Fakten zusammen­gestellt hat. Anschließend schauen wir uns an, welche Folgen das Urteil haben dürfte, denn die sind möglicherweise gewaltig.

Zitat: «Russlands Berufung wurde zurückgewiesen: Das niederländische Gericht hat im Fall Yukos entschieden

Das Amsterdamer Berufungsgericht hat die Berufung Russlands zurückgewiesen und sich auf die Seite der ehemaligen Aktionäre des Erdölkonzerns Yukos gestellt. Laut dem auf der Website des Gerichts veröffentlichten Urteil soll die Entscheidung über die Zahlung von 50 Milliarden Dollar durch Russland in Kraft bleiben.

Die TASS hat die wichtigsten Informationen über das Verfahren zusammengefasst.

Gerichtsurteil in den Niederlanden

Das Berufungsgericht in Amsterdam kam zu dem Schluss, dass das Argument der russischen Seite über angeblichen Betrug durch ehemalige Yukos-Aktionäre während des Schiedsverfahrens in Den Haag nicht geeignet ist, den Entschädigungsbeschluss zu kippen.

Das Gericht "annulliert den Schiedsspruch vom 20. April 2016", mit dem die Russische Föderation von ihren Verpflichtungen zur Zahlung einer Entschädigung entbunden wurde, und "weist die Forderungen der Russischen Föderation zurück".

Einleitung des Verfahrens

Das Verfahren wurde von Hulley Enterprises, Yukos Universal und Veteran Petroleum eingeleitet, Unternehmen, die mit ehemaligen Yukos-Aktionären verbunden sind. Das internationale Schiedsgericht, das über den Ständigen Schiedshof in Den Haag eingerichtet wurde, ordnete nach zehnjähriger Prüfung des Falles im Jahr 2014 an, dass Russland mehr als 50 Milliarden Dollar an die drei Unternehmen zu zahlen hat.

Ende 2014 legte die russische Seite Berufung gegen das Urteil ein. Im Jahr 2016 stellte sich das Bezirksgericht Den Haag auf die Seite Russlands und hob das Urteil auf.

Die zweite Phase

Die russische Seite bestand insbesondere darauf, dass der Ständige Schiedshof für den Fall nicht zuständig sei. Das Gericht habe den Streitfall auf der Grundlage des Energiecharta-Vertrags geprüft, der von Russland vorläufig und mit Ausnahme der Bestimmungen, die russischen Recht widersprechen, angewandt wurde. Moskau wies daher darauf hin, dass der Streit nach russischem Recht vor russischen Gerichten hätte verhandelt werden müssen.

Das Berufungsgericht in Den Haag kam 2020 zu dem Schluss, dass die Charta nur in ihrer Gesamtheit angewandt werden kann, und billigte die Entscheidung über die Entschädigung der ehemaligen Aktionäre.

Die letzte Berufung

Russland legte Berufung beim Obersten Gerichtshof der Niederlande ein, der der russischen Klage im Jahr 2021 in einem Punkt stattgab, nämlich dass die ehemaligen Yukos-Aktionäre im Schiedsverfahren angeblich Betrug begangen hätten. Die russische Seite beharrte darauf, dass die ehemaligen Yukos-Aktionäre über mehrere Jahre hinweg Beweise gefälscht und die wahren Methoden der Veruntreuung des Erdölkonzerns verschleiert hätten.

Im Anschluss an die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Niederlande wurde der Fall vom Amsterdamer Berufungsgericht in diesem Punkt verhandelt. Alle anderen Einsprüche Russlands, einschließlich der Anwendung des Vertrags der Energiecharta, wurden vom Obersten Gerichtshof der Niederlande abgewiesen, und die Urteile wurden als rechtskräftig angesehen.»[4]

Enteignung russischer Vermögenswerte und ihre Überweisung an Kiew

Bekanntlich sucht der Westen nach Möglichkeiten, die russischen Vermögenswerte im Wert von hunderten Milliarden Dollar, die der Westen blockiert hat, zu enteignen. Das ist juristisch schwierig und politisch heikel, weil eine solche offensichtlich willkürliche Enteignung das Vertrauen internationaler Anleger in die westlichen Währungen schwer erschüttern würde.

Offiziell sollen diese russischen Vermögenswerte eingesetzt werden, um die Ukraine wieder aufzubauen, aber es ist klar, dass Kiew von dem Geld kaum etwas sehen würde, denn die Aufträge zum Wiederaufbau der Ukraine würden selbstverständlich westliche Konzerne erhalten.

Das niederländische Gericht hat mit seinem Urteil einen vermeintlich legalen Weg aufgezeigt, wie zumindest 50 Milliarden Dollar russischer Vermögenswerte enteignet werden können. Chodorkowski und seine Kumpane können nun fordern, dass russische Vermögenswerte in Ländern, die das niederländische Urteil anerkennen, an sie übertragen werden.

Diesem Beispiel könnte Kiew folgen, indem es Russland vor westlichen Gerichten (oder vom Westen kontrollierten internationalen Gerichten[5]) beispielsweise auf Entschädigung für Kriegsschäden verklagt. Dass die vom Westen kontrollierten Gerichte Kiew recht geben würden, steht kaum in Frage.

Da Russland angekündigt hat, dass die Enteignung der eingefrorenen russischen Vermögenswerte eine rote Linie ist, deren Übertretung harte Maßnahmen Russlands folgen würden, hat das niederländische Gericht mit seinem umstrittenen Urteil möglicherweise die Büchse der Pandora[wp] für eine weitere Eskalation des Konfliktes des Westens mit Russland geöffnet.

– Anti-Spiegel[6]

Einzelnachweise

  1. Chodorkowski scheitert in Straßburg, Hamburger Abendblatt am 11. Juni 2011
    Anreißer: Menschenrechts-Richter: Prozess gegen Kreml-Gegner war nicht politisch
  2. Court finds breaches of rights of former Yukos executives over second trial and also rejects several complaints, European Court of Human Rights am 14. Januar 2020 - ECHR 013 (2020)
  3. Thomas Röper: "Putins Puppen"": Nachruf auf einen Skandal, der für Spiegel und ZDF zur Blamage wurde, Anti-Spiegel am 18. April 2019
    Anreißer: Die Geschichte um "Putins Puppen" ist still und heimlich wieder aus den Medien verschwunden. Zeit für einen kleinen Rückblick, für ein paar Ergänzungen und einen Blick auf die Fragen, die noch offen sind.
    Auszug: Am 5. April brachten Spiegel und ZDF einen "Skandal" ans Licht[ext], angeblich hatte Russland einen Abgeordneten der AfD "vollständig unter Kontrolle". Die Quelle war Michail Chodorkowski, ein laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte rechtskräftig verurteilter Betrüger und Steuerhinterzieher. Und ein erklärter Putin-Gegner. Das bedeutet nicht, dass Chodorkowski automatisch lügt, aber er ist eben keine neutrale Quelle und entsprechend misstrauisch sollte man bei Meldungen von ihm sein. [...]
    Es gab über die Geschichte keine Berichte in Russland, lediglich westliche Medien wie BBC, Radio Liberty oder Deutsche Welle haben darüber auf Russisch berichtet. Und auch einige oppositionelle Medien in Russland, ja die gibt es wirklich, haben darüber berichtet. Interessant war dabei ein Detail, denn TV-Rain, ein großes, oppositionelles Portal, hat bei Chodorkowskis Organisation nachgefragt, woher sie Email hatten. Die Antwort war so kurz, wie vielsagend: Das Dossier Center von Chodorkowski teilte mit, "das Material aus einer anonymen Quelle" bekommen zu haben. («Наш человек в Бундестаге»: как Кремлю предложили поддержать ультраправого кандидата на выборах и что из этого получилось, 5. April 2019, Deutsch: "Unser Mann im Bundestag": Wie der Kreml eingeladen wurde, einen rechtsextremen Kandidaten bei den Wahlen zu unterstützen und was dabei herauskam.)
    Das wirft ein noch schlechteres Licht auf die "Recherchen" von Spiegel und ZDF. Sie haben von einer parteiischen Quelle (Chodorkowski) Material (eine einzige Email) bekommen, von dem noch nicht einmal Chodorkowski behauptet, dass es echt ist. Die Mail kommt aus "einer anonymen Quelle" und ihre Echtheit ist damit nicht zu verifizieren. Aber ZDF und Spiegel haben diese Geschichte offensichtlich ungeprüft komplett übernommen, ohne selbst auch nur die Mail zu überprüfen. Das versteht man heutzutage in Deutschland unter "Qualitätsjournalismus". [...]
  4. Дело ЮКОСа, TASS am 20. Februar 2024
    Anreißer: Апелляция России отклонена. Суд в Нидерландах вынес решение по делу ЮКОСа
    Deutsch: Fall Yukos - Die Berufung Russlands wurde zurückgewiesen. Ein Gericht in den Niederlanden hat über den Fall Yukos entschieden
  5. Thomas Röper: Schauprozesse? Kommt der Tag der Wahrheit für den Internationalen Strafgerichtshof?, Anti-Spiegel am 18. November 2023
    Anreißer: Der Internationale Strafgerichtshof hat nun die Gelegenheit, der ganzen Welt zu zeigen, dass er ein neutraler Gerichtshof ist, denn fünf Staaten haben sich wegen israelischer Kriegsverbrechen an den Gerichtshof gewandt. Wenn er darauf nicht reagiert, stellt er seine Existenz­berechtigung in Frage.
  6. Thomas Röper: Sieg des Oligarchen: Niederländisches Gericht verurteilt Russland zur Zahlung von 50 Milliarden, Anti-Spiegel am 20. Februar 2024
    Anreißer: Ein niederländisches Gericht hat Russland zur Zahlung von 50 Milliarden Euro an den ehemaligen Oligarchen Chodorkowski und seine Freunde verurteilt. Welche Folgen das Urteil haben könnte.

Querverweise

Netzverweise