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Querulantentum

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Hauptseite » Staat » Justiz » Querulantentum

Der Begriff Querulantentum bezeichnet eine von Juristen konstruierte psychische Störung und einen darauf basierenden Straf­tatbestand, mit dessen Hilfe die Obrigkeit politisch missliebige Personen kriminalisieren, strafrechtlich verfolgen und zu Haftstrafen verurteilen konnte.

Das Querulantentum war bereits 1795 in der preußischen Gerichts­ordnung unter Strafe gestellt, ist also zweifellos ein in der Justiz entworfenes Konstrukt, gab es damals doch die Psychiatrie[wp] als Fachrichtung der Medizin noch gar nicht. Insofern wundert es nicht, dass einer der ersten Psychiater, die den "Querulantenwahn" beschrieben, Eduard Hitzig[wp], vor seiner medizinischen Karriere Rechts­wissen­schaften studierte. In seiner im Jahre 1895 erschienenen Monographie "Über den Querulanten­wahn" stuft er diesen als eine Form chronischer Verrücktheit und als eine Allgemein­erkrankung der psychischen Persönlichkeit ein, die mit größter Wahr­scheinlich­keit auf feinere anatomische Veränderungen im Gehirn zurück­zu­führen sei.

Noch vor Eduard Hitzig jedoch wurde der Querulant als "Wahnsinniger aus Rechthaberei" von Emil Kraepelin[wp] bezeichnet. Emil Kraepelin ordnete die Querulanz in seinem 1893 erschienen Lehrbuch "Psychiatrie" der Gruppe der Paranoia zu, bevor er in einer Neuauflage dieses Lehrbuches 1921 begann, zwischen echter Querulanz als Symptom einer Psychose[wp] und Pseudo­querulanz als begleitendes Phänomen verschiedener Psycho­pathien zu unterscheiden. Kraepelin gründete 1917 in München die Deutsche Forschungs­gesellschaft für Psychiatrie, das heutige Max-Planck-Institut für Psychiatrie, damals finanziert u. a. durch Krupp und die Deutsche Chemische Industrie. Er war ein großer Vertreter der Behandlung mit Chemie und insofern Vorreiter für die Pharmazie­industrie im Bereich der psychischen Erkrankungen. Die heutigen Klassifizierungs­systeme psychischer Erkrankungen, die ICD-Klassifikation[wp] der WHO[wp] und auch die US-amerikanische DSM-Klassifikation[wp] basieren auf der Kraepelinschen Systematik, die US-amerikanische DSM-Klassifikation aber kennt den "Querulanten­wahn" als Krankheits­bild nicht. Bis heute gilt die Goldene Kraepelin-Medaille[wp], gestiftet erstmals 1928 anlässlich der Eröffnung des Kraepelinschen Instituts der deutschen Forschungs­anstalt für Psychiatrie zum Gedenken an den 1926 verstorbenen Instituts­gründer, als eine der wichtigsten wissen­schaftlichen Auszeichnungen auf dem Gebiet der Psychiatrie.

Rechtsquerulant

Der klassische Querulant ist der Rechtsquerulant. Schon der Begriff des Querulanten leitet sich vom Wort "queri" (lat.) ab und bedeutet soviel wie "vor Gericht klagen". Der "Querulanten­wahn" ist Juristen eher bekannt als der klinischen Psychiatrie, wird er doch von den Gerichten klassischerweise vor­diagnostiziert und wahlweise durch psychiatrische Gutachten bestätigt oder abgelehnt und dient hier in erster Linie der Klärung der Schuld­fähigkeit bzw. der partiellen Geschäfts­unfähigkeit[wp] bei charakteristischen Straf­handlungen wie Beleidigung, Verleumdung oder Körper­verletzung (sagt Prof. Dr. H. Dietrich, Psychiatrische Klinik der Universität München, aus seiner gutachterlichen Praxis heraus), bei deren gutachterlicher Feststellung der Betroffene seine Rechte vor den Gerichten nicht mehr wahrnehmen kann.

Studien beweisen, dass maximal 3 % aller klinischen Patienten als Querulanten betreut und behandelt werden, es den Querulanten aus psychiatrischer Sicht also so gut wie gar nicht gibt. Schon 1927 schrieb der Psychiater Prof. Julius Raecke[wp], dass nicht jeder Querulant geisteskrank sei und 1931 behauptete Kurt Kolle[wp], es gebe keinen Querulantenwahn[wp], es gebe nur Querulanten. Im ausgehenden 20. Jahrhundert wurde dann der "Querulanten­wahn" auch häufiger als Verhaltens­störung denn als psychiatrische Erkrankung bezeichnet.

So dient der "Querulantenwahn" in erster Linie den Gerichten, um Klägern ihr Recht auf gerichtliche Klärung ihrer Klagen zu vereiteln, was selbstredend besonders interessant ist, wenn sich die Kläger gegen einzelne Richter, gegen die Gerichte oder die Rechtsprechung als staatliche Gewalt wenden. Hier empfehlen die Psychiater (Detlev E. Dietrich, Bastian Claassen in "Seltene Wahn­störungen", Psycho­pathologie-Diagnostik-Therapie, Hrsg: Petra Garlipp, Horst Haltenhof, 2010) als therapeutische Maßnahmen, die sich angeblich generell sehr schwierig darstellen, denn auch, man solle keinesfalls inhaltlich mit den Patienten (den Klägern also) diskutieren, sie auch nicht mit ihren Vorstellungen konfrontieren, sondern sie darüber aufklären, dass und wie begrenzt die Gerichte sind. Wenn das nicht fruchtet, solle man darauf abstellen, welche Entbehrungen der Querulant seiner Familie zumutet. Den Gerichten empfehlen die Psychiater, dem Querulanten mit auch für Laien verständlichen Argumenten zu begegnen, nicht die Gesetze in den Vordergrund zu stellen, sondern den konkreten Fall.

Zitat: «Querulanz ist weder eine Geisteskrankheit noch ein die Geschäfts-, Prozeß- oder Zurechnungs­fähigkeit berührender Zustand, sondern die hartnäckige Kritik und furchtloser Widerspruch gegen irgendwelche Zu- oder Miß­stände, meistens besonders intelligenter und sensibler Menschen, gewiß oft überzogen und eskalierend bis zum Exzeß. "Querulant" war z. B. Michael Kohlhaas, "Querulanten" waren aber auch Luther, Voltaire, Galilei und Giordano Bruno, Fritz Reuter, Heinrich Mann. "Querulanten" sind Martin Niemöller, Sacharow und Solchenizyn. Wenn es keine Querulanten gäbe, wäre die Welt ärmer. Das weiß auch unser Staat, der Querulantentum allgemein gewähren läßt, vor allem aber die vielen kleinen, Behörden und Justiz arg belästigenden Querulanten. Nur wenn gegen den Staat selber geklagt wird, wenn seine eigenen Entscheidungen, seine eigene Praxis überprüft werden sollen, dann ist seine Liberalität, sein Rechts­staats­verständnis zu Ende, dann entpuppt er sich plötzlich als legitimer Nachfolger jenes preußischen Staates, in dem Querulantentum unter Strafe stand (Preußische Gerichtsordnung von 1795).» - Joachim Hellmer[wp][1]

Drittes Reich

Im Dritten Reich wurden "Personen mit querulatorischen Neigungen" durch das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 1.1.1934 erfasst und konnten nach dem "Gesetz über die Behandlung Gemeinschafts­fremder" vom 1.1.1944 als Personen, die "aus Unverträglichkeit oder Streitlust den Frieden der Allgemeinheit hartnäckig stören (Störenfried)" polizeilich überwacht, in Anstalten untergebracht und sogar mit Todesstrafe bestraft oder unfruchtbar gemacht werden.[2]

Zitat: «Querulant ist das Wort der Juristen für Untermensch

Die Gesetze sind 1945 aufgehoben worden. Nichts­desto­weniger wird das Q-Wort bis auf den heutigen Tag vorzugsweise von Juristen gebraucht, um Menschen verächtlich zu machen, die ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausüben. Für die Zwangs­einweisung und -behandlung in psychiatrischen Kranken­häusern, Entmündigung und Existenz­vernichtung reicht es noch heute. Fast alle, die gewagt haben mit der teuren Obrigkeit nicht ganz zufrieden zu sein, sind mit dem Q-Wort bedacht worden.[3]

BRD

Am 11. Februar 2010 wurde der neue Untersuchungs­ausschuss zur hessischen Steuer­fahnder-Affäre konstituiert. Vier eifrige Steuer­fahnder sind, als sie Fälle möglicher Steuer­hinter­ziehung nicht ununtersucht lassen wollten, im Auftrag der hessischen Landesregierung (CDU) in verleumderischer Weise für "paranoid-querulatorisch" erklärt und aus dem Staatsdienst entfernt worden.

"Wir haben uns nichts vorzuwerfen", sagte der Obmann der CDU-Fraktion, Peter Beuth[wp], vor der konstituierenden Sitzung. Es habe sich um "querulatorische, sich selbst überschätzende Durchschnitts­beamte gehandelt".[3][4][5][6]

Auch Polizisten werden auf diese Weise aus dem Dienst entfernt.[7]

Literatur

  • Julius Raecke: Der Querulantenwahn, Journal of Molecular Medicine 1927, S. 1785 ff.

Zitate

  • "Querulanten sind per definitionem erfolglos - sind sie erfolgreich, sind es 'Quer-' oder Charakter­köpfe' wie etwa Boris Palmer[wp], den niemand für geisteskrank hält."
  • "Querulant ist ein Etikett, das man verteilen und aufheften kann mit der Folge, dass derjenige, der es bekommt, nicht mehr ernst genommen werden muss, sondern in den Bereich des zu Behandelnden überführt wird." - Definition" des (deutschen) Prof. Dr. Thomas-Michael Seibert, ehem. Vors. Richter
  • "Der Begriff 'Querulant' ist im Deutschen eindeutig ein Pejorativ, der regelmäßig auf den gesellschaftlich isolierten, kleinen Rechts­unter­worfenen zur Anwendung gelangt. Immer wieder einmal werden Querulanten aber auch verteidigt, sei es von Juristen wie Hellmer oder Soziologen wie Kaupen oder etwa Anette Schneider im Staatsrundfunk, demnach "über 80 Prozent aller höchst­richterlichen Entscheidungen werden von Querulanten erwirkt" würden (...) nurmehr Nonsense ohne Quellen­angabe: wie sollte die "Bremer Forscher­gruppe" den Begriff 'Querulant' denn wohl definiert haben?"

Einzelnachweise

  1. Joachim Hellmer[wp]: Verfassungs-Schutz-Verein: Gutachten als Waffe gegen "Querulanten"
  2. J. Zier, in: "Querulanz in Gericht und Verwaltung" von A.Dinger und U.Koch, München 1991
  3. 3,0 3,1 Die durchschnittliche Juristen-Dreckschleuder Peter Beuth, bloegi am 11. Februar 2010
  4. Quelle: Hessischer Rundfunk am 11. Februar 2010
  5. Matthias Thieme: Mobbing im Hessischen Landtag, Frankfurter Rundschau am 13. Februar 2010 (Die SPD-Fraktion im Landtag hat die CDU-Fraktion aufgefordert, den Landtags­abgeordneten Peter Beuth als Obmann im Untersuchungs­ausschuss zur Steuerfahnder-Affäre zurückzuziehen.)
  6. Matthias Thieme: Steuerfahnder: Affäre spitzt sich zu, Frankfurter Rundschau am 13. April 2010 (CDU und FDP im hessischen Landtag befassen sich damit, wo die FR ihre Informationen her bekommt. Dabei sollte es im Untersuchungsausschuss darum gehen, warum vier hessische Steuerfahnder mit falschen Gutachten zwangspensioniert wurden.)
  7. "Wer das System kritisiert, wird eliminiert", So entledigt sich Hessen unbequemer Beamter: einfach für verrückt erklären. Gitta Düperthal im Gespräch mit Dirk Lauer, Junge Welt am 6. April 2013

Netzverweise


Dieser Artikel basiert (in der Einleitung und im Abschnitt Rechtsquerulant) auf dem Artikel Kleine-Geschichte-der-Querulanz (3. Dezember 2012) aus der freien Enzyklopädie GrundrechteWiki. Der GrundrechteWiki-Artikel steht unter der folgenden Lizenz-Bedingung[webarchiv]. Da das Wiki archiviert wurde, ist die Liste der Autoren, die vor Übernahme in WikiMANNia am Text mitgearbeitet haben, nicht mehr verfügbar.