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Umgangspflicht
Der Begriff Umgangspflicht wird von Juristen aus § 1684 Abs. 1 BGB abgeleitet. Dort heißt es, jeder Elternteil sei zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt. Dagegen wird dem Kind nur das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil zugestanden. Eine Klausel, die Kinder dazu verpflichtet, nach einer Trennung bzw. Scheidung mit beiden Elternteilen Umgang zu pflegen, existiert nicht.
Ursachen für Umgangsverweigerung
In der Praxis geschieht es immer wieder, dass ein Elternteil nach dem Zerbrechen der Paarbeziehung keine Anstalten unternimmt, weiterhin Umgang mit seinen Kindern zu pflegen oder sogar kategorisch jedweden Umgang verweigert. Bei beiden Geschlechtern mögen die Ursachen mitunter in Gefühlskälte und Verantwortungslosigkeit liegen. Besonders für Väter gilt allerdings, dass ihnen das deutsche Scheidungs- und Unterhaltsrecht oft keine hinreichende materielle Perspektive mehr lässt und sie sich ihrer finanziellen Ausbeutung durch ein Untertauchen bzw. Verlassen des Landes entziehen wollen.
Daneben tritt das Phänomen des Rückzugs aufgrund der Mängel und Ungerechtigkeiten des deutschen Umgangsrechts nicht selten gerade bei so genannten "aktiven Vätern" auf. Überraschenderweise sind manchmal gerade jene Vater-Kind-Beziehungen besonders gefährdet, bei denen vor der Scheidung eine starke Bindung vorlag, insbesondere dann, wenn der Vater den Trennungsschmerz nach den Besuchstagen nicht verkraftet. Solche Väter, die stark unter der Trennung von den Kindern leiden, distanzieren sich mitunter emotional von den Kindern, damit sie die Situation als weniger schmerzvoll erleben (FTHENAKIS Wassilos E., NIESEL Renate, KUNZE Hans-Rainer: Ehescheidung. Konsequenzen für Eltern und Kinder; München-Wien-Baltimore 1982, S. 138). Denn insbesondere sie erleben die kurzen Besuche mit der anschließenden Verabschiedung als qualvoll und versuchen, durch Verminderung der Kontakthäufigkeit ihr Leiden zu vermindern. Sie fühlen sich als "Besuchsonkel" und sind frustriert (FTHENAKIS Wassilos, Väter, Band 2 - Zur Vater-Kind-Beziehung in verschiedenen Familienstrukturen, München 1985, S. 70-71).
Die Studie von Wallerstein & Kelly (WALLERSTEIN J.S., KELLY J.B.: Effects of divorce on the visiting father-child-relationship. In: American Journal of Orthopsychiatry 137, S. 1534-1539) wird bestätigt durch die Untersuchungen von Edward Kruk (KRUK Edward: Divorce and Disengagement: Patterns of Fatherhood Within and Beyond Marriage, Halifax 1993) sowie in: Kruk E., Psychological and Structural Factors Contributing to the Disengagement of Noncustodial Fathers After Divorce, Family and Conciliation Courts Review 29 [2], S. 81-101), der vierzig nichtsorgeberechtigte, zurückgezogene Scheidungsväter befragte. (...) Als besonders belastend schilderten die meisten Befragten den nach jedem Besuch wiederkehrenden Trennungsschmerz. Bei Vätern, die sich während der Ehe als aktive Väter sehr intensiv um ihre Kinder gekümmert haben, kann die räumliche Trennung von ihren Kindern und der seltene Kontakt chronische Trauer auslösen. Die Unfähigkeit sich an die Abwesenheit der Kinder zu gewöhnen und ein teilweiser Rollenverlust lassen eine depressive Symptomatik, sowie Resignation aufkommen. Der Vater erlebt einen ausgeprägten Verlust, wissend, dass das Objekt der Trauer lebendig jedoch abwesend ist. Solche zuvor sehr aktiven und stark beteiligten Väter beschreiben sich häufig als entwurzelt, hoffnungslos und niedergeschlagen, da sie die während der Ehe erhaltene Befriedigung und Bestätigung durch ihre Vaterschaft vermissen. Kruk zitiert Merton (1968), der meint, dass Rollenverlust zu totalem Rückzug bis hin zu dissoziativem Stupor führen kann. Dass die Väter dann trotz der großen Sehnsucht nach ihren Kindern den Rückzug antreten, klingt paradox. Diese Reaktion wird allerdings verständlich, wenn man versteht, welchen Schmerz die Betroffenen erleben, sowohl durch die ständig wiederkehrenden Trennungen nach den kurzen und oft recht oberflächlich gehaltenen Besuchen, als auch durch die Wegnahme des Mitsprachrechts in Bezug auf die kindliche Erziehung. Den meisten dieser zurückgezogenen Vätern ist bewusst, dass das Kind Anrecht auf den Kontakt hat und, dass die Verbindung zum Vater sehr wichtig ist. Daher versuchen sie trotz allem Kontakt zu halten, doch nicht allen gelingt das auf Dauer. Ein britischer Vater meint dazu: ... Die Auswirkungen auf den Vater sind zweischneidig. Ein kleines bisschen Kontakt ist für jemand, der sich wünscht, ein Vollzeit-Vater zu sein, ein Brosamen vom Tisch des Reichen, und ich glaube, dass dieses bisschen Kontakt viel zur Verzweiflung des Vaters beiträgt, wenn er weggeht oder wenn das Kind weggeht. (Entnommen der deutschen Übersetzung: Scheidung und Rückzug: Profile der Vaterschaft während und nach der Ehe.[1])
Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts
Zur Frage, ob das Recht des Kindes auf Umgang mit dem Besuchselternteil einklagbar ist bzw. ob es in Betracht kommt, einen kontaktverweigernden Elternteil per Gerichtsbeschluss zum Umgang zu zwingen, gibt es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 1. April 2008.[2] Es erging nach der Verfassungsbeschwerde eines umgangsunwilligen Vaters, der durch Androhung eines Zwangsgeldes zum Umgang mit seinem Kind gezwungen werden sollte. Die Beschwerde war erfolgreich. Nach dem Text des Urteils dient die zwangsweise Durchsetzung der Umgangspflicht eines umgangsunwilligen Elternteils unabhängig vom verfassungsrechtlichen Anspruch des Kindes auf die Sorge der Eltern, ihre Pflege und Erziehung in der Regel nicht dem Kindeswohl. Insofern habe eine Durchsetzung der Umgangspflicht mit Zwangsmitteln grundsätzlich zu unterbleiben. Anders verhalte es sich nur, wenn im Einzelfall hinreichende Anhaltpunkte darauf schließen lassen würden, dass ein erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen werde. Im Kern wird gesagt, die zwangsweise Durchsetzung des Umgangs, bei der von dem Elternteil nicht nur bloße Anwesenheit, sondern eine emotionale Zuwendung zum Kind erwartet wird, widerstrebe seinen Gefühlen, die er gegenüber dem Kind hege. Ein solcher an den Tag gelegter Widerwille, verbunden mit einer ablehnenden Haltung zum Kind, könne bei einem erzwungenen Umgang mit dem Kind nicht ohne Auswirkungen auf das Kind bleiben. Das Kind gerate in eine Situation, in der es nicht die mit dem Umgang bezweckte elterliche Zuwendung erfahre, sondern spüren müsse, wie es als Person abgelehnt werde, und dies nicht von irgendjemandem, sondern gerade von seinem Elternteil. Dies berge die große Gefahr, dass das Selbstwertgefühl des Kindes Schaden nehme.
Zu den denkbaren Ausnahmen sagt das BVerfG, allerdings sei nicht auszuschließen, dass es Fälle gebe, in denen eine reale Chance bestünde, dass das Kind in der Lage wäre, durch sein Verhalten den Widerstand des Elternteils aufzulösen, sodass ein zunächst erzwungener Umgang dem Kindeswohl dienen könne. Dies sei gegebenenfalls mithilfe von Sachverständigen zu klären. Geht der Wunsch vom Kind aus, nehmen die Karlsruher Richter an, vor allem bei älteren und gefestigteren Kindern wäre eher davon auszugehen, dass eine zwangsweise Durchsetzung ihres Umgangswunsches dem Kindeswohl dienlich sei. In einem solchen Fall wäre zumutbar, ein Elternteil notfalls auch mit Zwangsmitteln zum Umgang anzuhalten.
Einzelnachweise
- ↑ Entfremdung im Vater-Kind-Kontakt nach der Scheidung - Diplomarbeit von Irene F. Labner im August 2005 an der Universität Innsbruck, Studienrichtung Psychologie, Seiten 32 und 33[ext]
- ↑ Pressemitteilung Nr. 44/2008 vom 1. April 2008, Urteil vom 1. April 2008 - 1 BvR 1620/04
- ↑ Karl Albrecht Schachtschneider: "Rechtsproblem Familie", S. 23, S. 28-31
Rechtsproblem Familie in Deutschland (41 Seiten)