Auf den Seiten der "Welt" bricht die Journalistin Cigdem Toprak eine Lanze für eine der am meisten verunglimpften Gruppen unserer Zeit:
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«Die Stimmen in sozialen Medien über "alte weiße Männer" werden immer lauter. Es ist "in", Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft und ihres Alters kategorisch als eine Gefahr für Diversität und Feminismus zu sehen. Verkannt wird die größte Gefahr für unsere Gesellschaft: die Verletzung der Menschenwürde durch derartige Kategorisierungen und Annahmen.»[8]
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Zwar sei es sinnvoll, Personen zu kritisieren, die ihre Macht missbrauchen, und Strukturen, die Minderheiten schaden.
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«Gleichwohl dürfen wir nicht zulassen, dass wir Menschenrechte abwerten, weil wir marginale Personenkreise aufwerten möchten: In jedem einzelnen alten weißen Mann eine Gefahr für die Gleichberechtigung der Frauen und der Gleichbehandlung von Menschen anderer Herkunft zu sehen gleicht dem Verhalten jener, die meinen, alle Muslime seien Terroristen.
Diese Identitätspolitik schafft eine neue Hierarchie: Die Meinung einer jungen Frau wird über die eines alten Mannes gestellt, dem Idealbild der neuen Mächtigen aber entspricht eine junge Frau mit nicht deutschen Wurzeln. Die Anhänger einer solchen Identitätspolitik verstoßen gegen aufklärerische Prinzipien, gegen den Universalismus[wp]. Stattdessen sollen partikulare Interessen unser Gemeinwesen dominieren. Damit wird das Ziel aufgegeben, dass unser Grundgesetz auch umgesetzt wird: Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht und ihrer Religion müssen gleichbehandelt werden, ihre Würde ist zu schützen.
(...) Gender Studies und Rassismusforschung können uns alle sensibilisieren und uns Werkzeuge mitgeben, mit denen wir Diskriminierung erkennen, aber sie dürfen nicht unser rationales Denken, unser universalistisches Fühlen, unser Empathievermögen ersetzen.
Während meiner Arbeit an einem wissenschaftlichen Institut, das sich mit Gender- und Rassismusfragen beschäftigt, wurde ich von jenen, die ständig von antimuslimischem Rassismus schrien, die alles und jeden gendern wollten, die white supremacy kritisierten, genauso schlecht behandelt wie früher von unseren rassistischen Nachbarn, die meine Eltern dafür hassten, dass sie zu ihren Nachbarn geworden waren. Die Menschen an diesem Institut begannen, mich schlecht zu behandeln, als sie merkten, dass ich selbstständig denke, mich nicht an Ideologien hänge. Dass ich selbst bestimmen möchte, wann ich von Diskriminierung betroffen bin und wann nicht. Als ich nicht mehr Opfer sein wollte, wurde ich zum Opfer gemacht - woraufhin ich kündigte.»[8]
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Auch wenn sie sich dagegen wehre, wenn sie und und ihre Familie aufgrund ihrer migrantischen Herkunft benachteiligt würden, so Topcu, wolle sie dadurch nicht blind für die Diskriminierungen werden, die andere Menschen treffen: "seien es Schwarze, seien es Deutsche deutscher Herkunft."
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«Nicht Herkunft, Alter oder gesellschaftliche Stellung bestimmen die Weltsicht, sondern Weltzugang, Offenheit, Neugier, Selbstreflexion. Kriterien, die nicht nur weißen alten Männern, sondern auch jungen Frauen mit Migrationshintergrund fehlen können.»[8]
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An der unter manchen linken Ideologen derzeit so beliebten "critical whiteness" stört Topcu, dass sie, statt zu sozialer Gerechtigkeit zu führen, die Annahme verstärke, dass es manche Menschen aufgrund ihrer Herkunft weiter bringen würden als andere:
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«Als ein Journalistenkollege, der sich politisch links positioniert, mir sagte, er wisse, dass er privilegiert sei, weil er männlich, weiß und heterosexuell sei, habe ich mich durch diese Aussage degradiert gefühlt. Sie schwächen mein Selbstbewusstsein und Selbstverständnis. Denn das Leben ist etwas komplizierter als die einfachen Kriterien Alter, Herkunft und Geschlecht. (...) Natürlich musste ich viel kämpfen, das wäre aber auch im Heimatland meiner Familie nicht anders gewesen. Es ist nicht mein Zorn, der mich so weit gebracht hat, sondern mein Verstand, meine Geduld und die Solidarität all jener, unabhängig von ihrer Herkunft, die an mich geglaubt haben. Darunter waren auch viele Lehrer, Professoren, Kollegen, Ressortleiter und Chefs. Alte weiße Männer.»[8]
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Ich bin gespannt, ob es irgendwelche Reaktionen es auf diesen Artikel geben wird. Cigdem Toprak ist erst die zweite Stimme in den Leitmedien, die sich dezidiert gegen den aktuell wütenden rassistischen Sexismus ausspricht. Die erste war im vergangenen Sommer Filipp Piatov[ext] gewesen, worauf etwa Boris Rosenkranz[ext] sich im Blog Übermedien mit einer übergeschnappten Polemik ("irrwitzig", "unglaublich") ereifert hatte. Es würde mich nicht wundern, wenn es diesmal ruhig bleibt, nachdem die Kritik diesmal von einer anatolischstämmigen jungen Frau vorgebracht wird. Verfechtern der Identitätspolitik ist es nun einmal immens wichtig, von wem ein bestimmter Einwand vorgebracht wird.
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