Femizid
Der Begriff Femizid, auch Frauenmord, (aus lateinisch femina Frau und caedere töten, morden) bezeichnet in der Kriminologie ein Tötungsdelikt an einer (erwachsenen) weiblichen Person und fungiert im politischen Diskurs als eines der rhetorisch wirkungsvollsten Fehdewörter feministischer Agitatoren.
Philosophin Bérénice Levet[wp] merkt an, dass nicht zur Diskussion stehe, dass der Mord an einer Frau ein "absolutes Übel" sei. Doch die Sprache der Feministen sei bereits in den Rang der offiziellen Sprache erhoben worden, sie habe "eine exorbitante Autorität und Legitimität" erlangt. Dennoch stehe "die Realität auf dem Spiel, und sie allein muss unser Lehrmeister sein". Denn was heißt es eigentlich, wenn man von "Femiziden" spricht? Levet zitiert dazu den entsprechenden Eintrag aus dem Larousse[wp]: "Mord an einer Frau oder eines jungen Mädchens aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht".
Diese Wortneuschöpfung sei tatsächlich schon in den siebziger Jahren kreiert worden, um zu besagen, dass Frauen aus dem Grund getötet werden, weil sie Frauen sind. Doch, so erläutert Levet, "der Mann, der seine Gefährtin oder seine Ex-Gefährtin tötet, bringt nicht eine Frau um - er tötet seine Frau, er tötet die Frau, mit der er zusammenlebt oder mit der zusammengelebt hat, mit der er vielleicht auch Kinder hat. Ein Femizid wäre es, wenn irgendein Mann oder irgendwelche Männer gemeinsam eine Gruppe von jungen Mädchen oder von Frauen in ihre Gewalt brächten und aus dem einzigen Grund töteten, dass sie als Frau geboren waren".
Doch indem der Begriff Femizid auf jeglichen Mord an einer Frau angewandt werde, "verliert das Opfer jegliche Singularität, jegliche Einzigartigkeit, jegliches Gesicht. Sie ist nicht mehr eine Frau mit ihrer Persönlichkeit, sie ist nicht mehr ein Wesen aus Fleisch und Blut, sie wird damit zur Vertreterin einer Spezies, einer Allgemeinheit". Damit werde genau der gegenteilige Effekt erreicht: "Das Opfer wird seiner persönlichen Identität beraubt".[1]
Als Femizid bezeichnet man die Tötung von Weibern und Maiden aufgrund ihres Geschlechts. Der von Feministinnen geprägte Begriff fand ab den 1990er Jahren zunächst in den USA Verbreitung. Mehrere wissenschaftliche Disziplinen, darunter die Soziologie, die Epidemiologie und die öffentliche Gesundheitspflege, entwickelten Ansätze, um Morde an Weibern im Hinblick auf Kontexte, Täterprofile, Risiko- und Schutzfaktoren zu analysieren. Die einzelnen Disziplinen entwickelten jeweils eigene Definitionen für das Vorliegen eines Femizids.[2]
In Anlehnung an lateinisch femina 'Weib' und caedere '(hier:) töten' wurde der englischsprachige Begriff femicide zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts in England erstmals geprägt. Ein Rechtslexikon von 1848 definierte den Begriff als "die Tötung eines Weibes" ("the killing of a woman"). Der Neologismus[wp] blieb bis in die 1970er Jahre weitgehend ungenutzt. Dann prägten Feministinnen den Begriff unabhängig von der alten Verwendung neu und gaben ihm eine politische, feministische Bedeutung.[3][4] 1976 gebrauchte die Soziologin Diana E. H. Russell[wp] den Begriff erstmals öffentlich beim Internationalen Tribunal zu Gewalt gegen Weiber in Brüssel. Zu diesem Zeitpunkt verwendete sie ihn, wie sie später schrieb, implizit im Sinne von "von Männern verübte Hasstötungen von Weibern" (im Original "hate killing of females perpetrated by males").[2]
1992 gaben Jill Radford und Diana Russell eine Aufsatzsammlung mit Beiträgen heraus, die von häuslichem Femizid in den USA über rassistische tödliche Gewalt gegen afrikanisch-amerikanische Weiber und Serienmorden an Weibern bis hin zu Hexenjagden in der Vergangenheit reichten. In der Einleitung charakterisierte Jill Radford den Begriff femicide kurz als "die misogyne Tötung von Weibern durch Männer" (im Original "the misogynist killing of women by men") und bezog ihn explizit auf sexuelle Gewalt.[2]
Die Veröffentlichungen im Jahr 1992 wirkten bahnbrechend. Nach diesem Jahr etablierte sich der Begriff Femizid sowohl als politisches Konzept als auch für die wissenschaftliche Forschung dazu.[5][2]
Feministinnen führen als Begründung ihre Verschwörungstheorie vom Patriarchat an, wonach die Diskriminierung von Weibern kulturell sanktioniert und in alle gesellschaftlichen Institutionen eingebettet sei.[6] Als Fakten wurden Fälle von Gewalt gegen Weiber, Vergewaltigung und Femizid, aber auch die ungleiche Verteilung der Beschäftigungsquote, Lohn- und Statusunterschiede zwischen den Geschlechtern und vieles mehr angeführt. Diana Russell und Roberta Harmes präzisierten die Definition des Begriffs femicide als "Tötung von Weibern durch Männer, weil sie weiblich sind" (im Original "the killing of females by males because they are female").[7] Russell und Harmes wählten diese Definition, um alle Ausprägungen des männlichen Sexismus abzudecken.
Kritik
Wissenschaftlerinnen kritisierten am feministischen Ansatz zum einen, dass Unterschiede und Veränderungen der Geschlechterverhältnisse ausgeblendet werden. Zum anderen mache der Ansatz jedes Weib unterschiedslos zu einem potenziellen Opfer und verhindere eine differenzierte Analyse, aus der Gegenmaßnahmen abgeleitet werden könnten. Die Allgemeinheit der Hypothese erschwere es, das Ausmaß zu quantifizieren.[8][9][10][2]
Opferzahlen
Weltweit | Afrika | Nord-, Mittel- und Südamerika |
Asien | Europa | Ozeanien | |
---|---|---|---|---|---|---|
Tötungen: Opfer | 463.821 | 162.727 | 173.471 | 104.456 | 22.009 | 1.157 |
Tötungen: Rate | 6,1 | 13,0 | 17,2 | 2,3 | 3,0 | 2,8 |
Männertötungen: Opfer | 377.043 | 134.675 | 155.179 | 70.940 | 15.456 | 793 |
Männertötungen: Rate | 9,9 | 21,5 | 31,2 | 3,1 | 4,3 | 3,9 |
Frauentötungen: Opfer | 86.779 | 28.053 | 18.292 | 33.517 | 6.533 | 364 |
Frauentötungen: Rate | 2,3 | 4,5 | 3,6 | 1,5 | 1,7 | 1,8 |
Einzelnachweise
- ↑ Was ist ein "Femizid"? - Wie sich ein feministischer Kampfbegriff in den Medien ausbreitet, Die Tagespost am 15. Juni 2021 (Anreißer: Der Begriff "Femizid" wird immer öfter von Politikern und in den Medien verwendet. Nun erklärt die Philosophin Bérénice Levet im Figaro, weshalb sie diesen aus der "Bibel des Feminismus" stammenden Terminus - der den Mord an einer Frau durch ihren Mann bezeichnen soll - nicht verwendet.)
(Der Begriff "Femizid" stammt aus der Werkstatt für feministisches Neusprech und wird inzwischen zu wahllos benutzt, kritisiert die Philosophin Bérénice Levet im Figaro.) (Der Begriff wird Levet zufolge von den Feministen "mit einer derartigen Inbrunst und Hartnäckigkeit verteidigt" aus zwei Gründen: man wolle den Terminus "Homizid" auf Opfer des männlichen Geschlechts beschränken und einen äquivalenten Begriff für die Frauen durchsetzen: "den Mord an einer Frau von einer individuellen Tat in den Rang eines 'gesellschaftlichen Phänomens' erheben und damit die Struktur selbst unserer Zivilisationen inkriminieren“. Denn warum töte ein Mann - laut den Feministen - seine Frau oder Exfrau? "Weil, so antworten die Aktivisten, denen sich unsere Politiker und die Mehrheit der Journalisten fügsam anschließen, unsere Gesellschaften 'patriarchal' sind und es so lange bleiben werden, bis wir nicht überall den Frauen den Vortritt gelassen haben werden". Die abendländische Gesellschaft werde von den Feministen, so meint Levet, als "breit angelegtes Unterfangen" angesehen, Opfer zu produzieren - "natürlich die Frauen, aber auch die 'Minderheiten' und die 'Diversität'. Die Zivilisation des Abendlandes als Werk eines heterosexuellen christlichen oder jüdischen weißen Mannes hat keine andere Leidenschaft als die Beherrschung all dessen, was nicht sie selbst ist (also Frauen, Schwarze, Muslime, Tiere und Pflanzen)". Dass der Begriff "Femizid" seinen Platz im Vokabular der Aktivisten hat, sei deren Sache. Dass die Mehrheit der Journalisten, resümiert Levet, "ihn übernehmen, ist jedoch fragwürdig". Wir hätten es hierbei mit einem "bemerkenswerten Beispiel" dafür zu tun, "wie der feministische Neusprech die Sprache des Alltags unterwandert - unter der eifernden Beihilfe von Politikern und der Mehrheit der Medien. Und der von den Aktivisten angestrebte toxische Effekt ist es, die Männer in ihrer Gesamtheit zu kriminalisieren und zudem den Verdacht auf die Heterosexualität zu lenken: die Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau, wobei der Mann in der neofeministischen Logik das ist, was er eben ist, ist stets anfällig dafür, sich in eine Tragödie zu verwandeln".) - ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Wikipedia: Femizid
- ↑ Celeste Saccomano: The causes of femicide in Latin America. Institut Barcelona d'Estudis Internacionals (IBEI), 15. September 2015, S. 4 (Dissertation).
- ↑ Magdalena Grzyb, Marceline Naudi, Chaime Marcuello-Servós: Femicide definitions, in: Shalva Weil, Consuelo Corradi, Marceline Naudi (Hrsg.): Femicide across Europe. Theory, research and prevention on JSTOR. 2018, ISBN 1-4473-4716-1, S. 17-31, 20
- ↑ Consuelo Corradi, Chaime Marcuello-Servós, Santiago Boira, Shalva Weil: Theories of femicide and their significance for social research, in: Current Sociology. Band 64, Nr. 7, November 2016, ISSN 0011-3921, S. 975-995, 978
- ↑ Rae Taylor, Jana L. Jasinski: Femicide and the Feminist Perspective, in: Homicide Studies, Band 15, Nr. 4, November 2011, ISSN 1088-7679, S. 341-362, 342
- ↑ Diana E. H. Russell, Roberta A. Harmes (Hrsg.): Femicide in global perspective, Teachers College Press, New York 2001, ISBN 0-8077-4048-9
- ↑ Consuelo Corradi, Chaime Marcuello-Servós, Santiago Boira, Shalva Weil: Theories of femicide and their significance for social research, in: Current Sociology. Band 64, Nr. 7, November 2016, ISSN 0011-3921, S. 975-995, 979-980, doi:10.1177/0011392115622256
- ↑ Rae Taylor, Jana L. Jasinski: Femicide and the Feminist Perspective, in: Homicide Studies. Band 15, Nr. 4, November 2011, ISSN 1088-7679, S. 341-362, 346, doi:10.1177/1088767911424541
- ↑ Shelah S. Bloom: Violence against women and girls. A compendium of monitoring and evaluation indicators, MS-08-30. USAID, IGWG, Measure Foundation, 2008, S. 147
- ↑
Global Study on Homicide. Gender-related killing of women and girls[ext] - United Nations Office on Drugs and Crime (Hrsg.), Wien, 2019
- ↑
Global Study on Homicide. Executive summary[ext] - United Nations Office on Drugs and Crime (Hrsg.), Wien, 2019
Netzverweise
- Zara Riffler: Linke Integrationssenatorin: Wer Femizid statt Ehrenmord ruft, legitimiert Ehrenmorde, Tichys Einblick am 9. August 2021
- Ana Grujić, Beate Hausbichler: Frauenmorde als österreichischer Alltag - Gegen Gewalt an Frauen, derStandard am 27. April 2021
- Anreißer: Setzt sich die Häufigkeit von Femiziden so fort wie bisher in diesem Jahr, könnte es noch etwa 20 weitere Frauenmorde geben. Was dagegen getan und was gefordert wird.