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OLG Brandenburg, Beschluss 13 UF 41/09 vom 31.03.2010

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Das OLG Brandenburg hat mit seinem Beschluss 13 UF 41/09 vom 31.03.2010 für einen Umgang im 14-tägigen Wechsel entschieden und das Aufenthaltsbestimmungsrecht wegen Uneinigkeit der Eltern auf das Jugendamt übertragen. Der Wille des Kindes wurde respektiert, das Wechselmodell den Eltern quasi als Therapie zur Verbesserung ihrer Kommunikation und Kooperation verordnet.

Originaltext des Beschlusses

Tenor

Gründe

Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 2. Juni 2009 - 20 F 102/07 - unter teilweiser Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen wie folgt abgeändert: Den Kindeseltern wird das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das minderjährige Kind D... F..., geboren am .... April 2002, entzogen. Insoweit wird das Jugendamt ... zum Pfleger bestimmt. Im Übrigen verbleibt es bei der elterlichen Sorge der Kindeseltern für ihr gemeinsames Kind

D.... Kosten werden nicht erstattet. Der Beschwerdewert beträgt 3.000 €.

I.

1 bis 7

Die Parteien sind die Eltern des am .... April 2002 geborenen Kindes D.... Sie streiten seit ihrer im Juli 2007 erfolgten Trennung um das Aufenthalts­bestimmungs­recht für ihr gemeinsames Kind.

Nachdem die Kindesmutter zunächst mit dem gemeinsamen Kind die Ehewohnung verlassen hatte, ist sie nach einer entsprechenden Einigung der Kindeseltern in einem einstweiligen Verfahren in eine Wohnung in E... - dem Wohnort der Kindeseltern - gezogen.

D... besucht seit September 2008 die Grundschule und wurde zunächst im sogenannten Wechselmodell mit wöchentlichem Wechsel, sowohl vom Vater als auch von der Mutter versorgt und betreut. Während der beim Vater verbrachten Woche besuchte D... vor Schulbeginn und nach Schulende den Kinderhort.

Nachdem beide Kindeseltern zu der Auffassung gelangt waren, dass das Wechselmodell für das Wohl ihres Sohnes D... nicht förderlich sei, haben beide Eltern die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge insoweit beantragt, als sie jeweils das Aufenthalts­bestimmungs­recht für ihren Sohn D... allein für sich beantragt haben. Gemäß dem Beweisbeschluss vom 23. September 2008 hat das Amtsgericht Nauen ein Sachverständigengutachten eingeholt (siehe zum Inhalt des Beweisbeschlusses im Einzelnen Bl. 90 f. d.A.), das der bestellte Sachverständige Dr. E... S... am 8. April 2009 erstattet hat. Der Begutachtungs­zeitraum hat sich nach Angaben des Gutachters von September 2008 bis März 2009 erstreckt. Wegen des weiteren Inhalts des Sach­verständigen­gutachtens im Einzelnen wird auf das Gutachten Bl. 127 bis 196 d.A. verwiesen.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind D... dem Kindesvater allein übertragen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die gravierenden Kommunikations­probleme

8 bis 12

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die gravierenden Kommunikations­probleme zwischen den Eltern die Aufhebung der gemeinsamen Eltern­verantwortung im Hinblick auf das Aufenthalts­bestimmungsrecht zum Wohl des gemeinsamen Sohnes D... zwingend erforderlich machten. Die Eltern seien gegenwärtig ausschließlich unter Mediation in der Lage, einvernehmlich im Interesse ihres gemeinsamen Sohnes zu handeln. Sie blockierten sich und den jeweils anderen auf Grund individueller Egoismen und teilweise auch nur aus Trotz.

Nach dem Inhalt des Sachverständigen­gutachtens sei gegenwärtig davon auszugehen, dass der Kindesvater eine größere Bindungstoleranz zeigen könne und sich auch in der Mediation nachgiebiger und kompromiss­bereiter gezeigt habe. Zudem sei die Mutter für das Kind D... nur auf der Verbalebene die primäre Bezugsperson, während auf der Darstellungsebene und bei anderen Verhaltens­parametern eindeutig der Kindesvater einen Vorsprung habe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die befristete Beschwerde der Kindesmutter, die sie im Wesentlichen damit begründet, dass die Entscheidung des Amtsgerichts verfahrens­fehlerhaft ergangen sei. Es habe dem Amtsgericht oblegen, dem Kind D... einen Verfahrenspfleger zu bestellen. Dies sei bereits durch die Feststellung, dass D... in starken Loyalitäts- und Ambivalenz­konflikten stecke, unbedingt erforderlich gewesen.

Der Senat hat den Sachverständigen Dr. S... in der Sitzung zur mündlichen Verhandlung vom 12. August 2009 persönlich zu seinen Ausführungen im Gutachten befragt. Wegen der Ausführungen des Sachverständigen wird auf das Sitzungs­protokoll vom 12. August 2009, Bl. 321 d.A., verwiesen.

Im Anschluss daran hat der Senat das Kind D... F... persönlich angehört. Im Anschluss an den Termin vom 12. August 2009 haben die Kindeseltern zu den Herbst- und Weihnachts­ferien eine einverständliche Vereinbarung getroffen. Während eines Treffens der Parteien beim Jugendamt in N... haben sie sich am 1. September 2009 auf eine "Umgangsvereinbarung" geeinigt, nach deren Inhalt gleichzeitig der ständige Aufenthalt von D... - bis auf Weiteres - geregelt wurde. D... hat sich seitdem in jeder ungeraden Kalenderwoche von Donnerstag nach der Schule bis Montag vor der Schule sowie jeden Mittwoch nach der Schule bis zum Ende des Fußball­trainings im Haushalt der Kindesmutter aufgehalten und im Übrigen im Haushalt des Kindesvaters gelebt. Diese jedenfalls für die Zwischenzeit bis zu einer Entscheidung gefundene einverständliche Lösung der Kindeseltern führte - im erklärten Einverständnis der Parteien - zur Abgabe der Sache an die Mediations­abteilung im Hause.

Die Mediation führte nicht zu einer von den Parteien ausgehandelten einverständlichen Lösung. Dem Kind D... wurde ein Verfahrens­pfleger gestellt. Die Verfahrens­pflegerin Frau Dipl.- Psychologin B... hat sowohl in ihrem schriftlichen Bericht, datierend vom 4. März 2010, als auch nochmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 10. März 2010 ausgeführt, es sei der ausdrückliche Wunsch von D..., bei beiden Eltern künftig gleich viel zu sein. Statt wie zurzeit 4 Tage bei der Mutter und 9 Tage beim Vater wolle er in Zukunft bei beiden Eltern 14 Tage im Wechsel wohnen. Er wolle im Übrigen auch am Montag jeweils wechseln, denn er könne schon alleine zur Bushaltestelle gehen, an der der Schulbus halte. Gleichzeitig äußerte sich D... dahin, dass er nicht wisse, für welchen der beiden Elternteile er sich entscheiden solle und er wäre auch mit einer Entscheidung des Gerichts, die bestimme, bei welchem Elternteil er künftig überwiegend wohnen solle, nicht einverstanden. Er glaube im Übrigen, dass seine Eltern, wenn sie von seinem dringenden Wunsch erführen, sich in dieser Weise auch einigen würden.

In der mündlichen Verhandlung führte die Verfahrenspflegerin sodann ergänzend aus, D... habe beide Elternteile gleich lieb und könne seine Wünsche schon deshalb relativ klar benennen, weil er sich mit anderen Kindern in der Schule, deren Eltern ebenfalls getrennt lebten, offenbar austausche. Er befürchte insbesondere auch keinen Verlust seiner Freunde, weil die Eltern ja relativ nahe beieinander wohnten. Gleichzeitig erklärte die Verfahrenspflegerin, mit D... die Bedeutung eines 14tägigen Modells eingehend besprochen zu haben, ihm insbesondere den konkreten Zeitablauf erklärt zu haben. Sie wies darauf hin, dass D... eine niedrige Frustrations­schwelle habe, was man daran sehe, dass er ihr von seinen Ängsten hinsichtlich der Monster, die ihn auffressen wollten, wenn er ins Bett gehe und die Gardinen zumache, erzählt habe. Es werde Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes D... haben, dass sein nunmehr, nach langen Überlegungen gefundener Entschluss, den er auch noch einem Dritten - nämlich ihr gegenüber - geäußert habe, derart missachtet werde, ebenso wie sein Appell an die Eltern, sich auf Dauer zu einigen.

Auf Befragen des Senats erklärte die Kindesmutter in der mündlichen Verhandlung persönlich gehört, sie sei mit der Situation wie sie gegenwärtig in Bezug auf den Aufenthalt des Kindes D... bestehe, nicht zufrieden. Das Kind und sie möchten länger Aufenthalt des Kindes D... bestehe, nicht zufrieden. Das Kind und sie möchten länger miteinander zusammen sein.

13 Der Antragsteller und Kindesvater persönlich gehört erklärte, er sei zufrieden und könne keine Wünsche des Kindes erkennen, auch nicht im Hinblick auf die Stellungnahme der Verfahrenspflegerin. Er erklärte nach den weiteren Ausführungen der Verfahrenspflegerin, für ihn scheide ein Wechselmodell - auch im 14-tägigen Rhythmus - aus.

II.

14 bis 19

Die gemäß § 621 e ZPO zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nauen, mit dem das Amtsgericht das Aufenthalts­bestimmungs­recht für das Kind D... dem Kindesvater allein übertragen hat, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der angefochtene Beschluss ist insoweit abzuändern, als weder dem Kindesvater noch der Kindesmutter das Aufenthalts­bestimmungs­recht für ihr gemeinsames Kind zu übertragen ist, sondern der Teilbereich des Aufenthalts­bestimmungs­rechts den Kindeseltern zu entziehen und einem Pfleger zu übertragen ist. Im Übrigen verbleibt die elterliche Sorge bei den Kindeseltern.

Nach § 1666 Abs. 1 BGB kann den Sorgeberechtigten die elterliche Sorge entzogen werden, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes, durch unverschuldetes Versagen oder durch das Verhalten eines Dritten gefährdet wird, sofern die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, d.h., die zur Gefahrabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dabei sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden kann (§ 1666 a BGB). Maßstab für die zu treffende Entscheidung ist das Wohl des Kindes, also der umfassende Schutz des in der Entwicklung befindlichen jungen Menschen. Eine Gefährdung des Kindeswohls liegt stets vor, wenn das Kind bereits einen Schaden erlitten hat. Sie ist aber auch dann anzunehmen, wenn die begründete gegenwärtige Besorgnis besteht, dass bei Nichteingreifen des Gerichts das Kindeswohl beeinträchtigt würde, d.h., der Eintritt eines Schadens mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten ist (Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl., § 1666, Rz. 8).

Eine begründete Besorgnis zukünftiger Schädigungen des Kindes entsteht regelmäßig aus Vorfällen in der Vergangenheit. Auf Seiten der Sorgeberechtigten ist ein Missbrauch der elterlichen Sorge nicht notwendig. Es genügt, dass sie das Kind vernachlässigen, d.h., ausreichende Maßnahmen, die unter Berücksichtigung der sozialen, kulturellen und ökonomischen Situation der Familie eine ungestörte und beständige Erziehung, Beaufsichtigung und Pflege des Kindes im Rahmen der Familie gewährleisten soll, unterlassen. Möglich ist auch ein unverschuldetes Versagen der Eltern, wobei mit dem Auffangtatbestand bezweckt wird, akute und schwerwiegende Gefährdungen des körperlichen und seelischen Wohls der Kinder abzuwehren. Die Gründe für das elterliche Versagen sind unerheblich (OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 1556).

Liegen diese Voraussetzungen vor, hat das Gericht die zur Gefahrenabwehr erforderlichen und geeigneten Maßnahmen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnis­mäßigkeit zu treffen. Denn nach Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern. In dieses Recht darf der Staat grundsätzlich nur im Rahmen des staatlichen Wächteramtes (Artikel 6 Abs. 2 S. 2 GG) eingreifen.

Eingriffe in das Elternrecht sind vorliegend jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil das Wohl des Kindes durch die Sorgerechtsausübung der Kindeseltern gefährdet wird. Der teilweise Entzug des Sorgerechts - des Aufenthalts­bestimmungs­rechts - und die Anordnung einer Pflegschaft sind geeignet, dem Missbrauch der elterlichen Sorge durch die Kindeseltern entgegenzuwirken. Die getroffene Maßnahme beachtet den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, denn mildere Mittel zur Abwendung der Fortsetzung des kindeswohlgefährdenden Verhaltens der Kindeseltern sind nicht mit der gleichen Wirksamkeit ersichtlich. Der teilweise Sorgerechtsentzug und die Anordnung der Pflegschaft stehen zu dem mit diesen Maßnahmen verfolgten Kindesinteresse nicht außer Verhältnis; sie sind in Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes vielmehr geboten (siehe hierzu auch BGH, FamRZ 2008, 45).

Die Auslegung der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe "Kindeswohl", "Gefährdung" und "erforderlichen Maßnahmen" ist geprägt von der verfassungsrechtlichen Ausgangssituation. Hiernach ist die Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zu vorderst ihnen obliegende Pflicht. Das Elternrecht natürliche Recht der Eltern und die zu vorderst ihnen obliegende Pflicht. Das Elternrecht besteht mithin nicht um seiner selbst Willen, sondern zum Wohle der Kinder. Es vermittelt daher keinen "ungebundenen Machtanspruch" der Eltern gegenüber ihren Kindern, sondern die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Elternrechts gilt in erster Linie dem Schutz des Kindes (BVerfG-Entscheidung 61, 358, 371; 72, 155, 172). Das Kindeswohl ist mithin der Richtpunkt für den auch den Familiengerichten durch die Verfassung übergebenden Auftrag des staatlichen Wächteramtes. Zudem ist das Kind selbst Grundrechtsträger, denn ihm steht das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 GG">Artikel 1 i.V.m. Artikel 2 GG zur Seite (vgl. BVerfG-Entscheidung, a.a.O.).

20 bis 24

Der Bedeutung und Tragweite des Elternrechts über die Notwendigkeit der Berücksichtigung des Kindeswohls sind auch durch den Kindeswillen Grenzen gesetzt. Denn der Wille des Kindes ist grundsätzlich zu berücksichtigen, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist (vgl. BVerfG-Entscheidung 55, 171, 182). Das Kind ist bei jeder Entscheidung des Familiengerichts in seiner Individualität und mit seinem Willen vor allem auch deswegen einzubeziehen, weil familien­gerichtliche Entscheidungen maßgeblichen Einfluss auf sein künftiges Leben nehmen und es damit unmittelbar betroffen wird (vgl. BVerfG, FamRZ 2008, 1737, 1738; Kammergericht, FamRZ 2004, 483). Dieser Gesichtspunkt gewinnt mit zunehmenden Alter und zunehmender Einsichts­fähigkeit des Kindes an Bedeutung, da es sich nur so zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschafts­fähigen Person entwickeln kann.

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe führt eine Gesamtabwägung der maßgeblichen Umstände dazu, dass den Kindeseltern das Aufenthalts­bestimmungsrecht zu entziehen war, weil anderenfalls das Wohl des Kindes D... erheblich gefährdet wäre. Eine weniger einschneidende Maßnahme reicht hier nicht aus, um die Situation von D... zu verbessern.

Eine Gefährdung des Wohls des Kindes D liegt darin, dass die Kindeseltern auf Grund ihres immer noch auf der Trennungsebene ausgetragenen Streites die Bedürfnisse ihres Kindes nicht zu erkennen vermögen. Bereits der Sachverständige Dr. S... hat in dem von ihm am 8. April 2009 erstatteten Gutachten aufgrund seiner über einen längeren Zeitraum gewonnen Erkenntnisse im Einzelnen ausgeführt, dass die Kindeseltern nur unter Mediation in der Lage seien, einvernehmlich zu handeln und dies letztlich deshalb nicht zum Erfolg führe, weil beide Eltern eine weitere Mediation ablehnten. Die Elternteile seien beide derart streitverhangen, dass sie nur wenig zwischen Paar- und Elternebene trennen könnten. Den Eltern gelängen viele Handlungen zum Wohle von D... nicht, weil sie noch negative Bindungen aneinander hätten. Die Eltern hätten nicht die Einsicht, dass sie eine gemeinschaftliche Elternschaft ausüben müssten, die sie gemeinschaftlich zum Wohle D...s auszuüben hätten.

Erzieherisch sei am Wichtigsten, dass beide zu einem halbwegs kongruenten Verhalten in Bezug auf die Ge- und Verbote von D... kämen, so dass dieser die beiden Eltern nicht mehr gegeneinander ausspielen könne. Dazu gehöre es, sich über die Ge- oder Verbote zu einigen und Freizeitangebote für D... so zu gestalten, dass er sie tatsächlich nutzen könne. Dies erfordere von beiden Elternteilen ein Zugehen auf die Einstellungen und Erziehungs­erwartungen des jeweils anderen.

Die Eltern sind auch gegenwärtig - insoweit hat eine Veränderung ihres Verhaltens seit der Gutachten­erstattung durch den Sachverständigen S... nach dem Eindruck des Senats, den er sich selbst in den mündlichen Verhandlungen machen konnte nicht stattgefunden - nicht in der Lage, sich über den Aufenthalt des Kindes D... zu einigen. Insbesondere vermögen sie nicht zu erkennen, dass der von dem Kind D... gegenüber der Verfahrenspflegerin geäußerte Wille ernst zu nehmen ist, denn er entspricht einer langen Willensbildung des Kindes.

Dass der Sohn D... sich umfangreiche Gedanken über seinen Aufenthalt gemacht hat ist schon daraus ersichtlich, dass er selbst einen Aufenthaltswechsel immer für den Montag vorgeschlagen hat, weil er bereits groß genug sei, um allein zum Schulbus zu gehen. Dies hat er ausdrücklich deshalb vorgeschlagen, damit die Eltern nicht zu häufig aufeinander treffen und so keine Gelegenheit haben, sich über die ihn betreffenden Dinge zu streiten.

Der Wunsch und Wille des Kindes D... ist auch nachvollziehbar, eben weil er zu beiden Elternteilen ein gutes vertrauensvolles Verhältnis und eine intensive Beziehung und Bindung hat, wünscht er sich, seine Zeit in beiden Haushalten der Eltern gleichmäßig zu verbringen. Dass D... nicht für bzw. gegen einen Elternteil entscheiden möchte, entspricht auch den Äußerungen des Kindes in der persönlichen Anhörung durch den Senat. Die Eltern, insbesondere der Kindesvater, können in der gegenwärtigen Situation offenbar nicht erkennen, wie wichtig es für D... ist, dass seine Eltern sich auf Dauer über seinen Aufenthalt einigen und es hierbei aus seiner Sicht gerecht zugeht. Sowohl die Verfahrenspflegerin als auch die Mitarbeiter des Jugendamtes sehen in dieser

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Sowohl die Verfahrenspflegerin als auch die Mitarbeiter des Jugendamtes sehen in dieser Einstellung der Kindeseltern die Gefahr einer Kindeswohl­gefährdung, da D... bereits jetzt eine sehr niedrige Frustrations­schwelle habe mit der Folge, dass die Missachtung seines nunmehr sogar Dritten gegenüber geäußerten Willens Auswirkungen negativer Art auf seine weitere Entwicklung ernsthaft befürchten lässt.

Die Kindeseltern sind gehalten - und dies würde ein 14tägiges Wechselmodell in hohem Maße erfordern - sich über ein einheitliches Erziehungs­konzept für ihren Sohn D... zu einigen, die Vorstellungen des jeweils anderen in der Frage der Erziehung zu tolerieren und damit zu verhindern, dass D... die Uneinigkeit der Eltern - mit zunehmenden Alter immer mehr - nutzt, um diese gegeneinander auszuspielen.

Entgegen der Ansicht der Kindesmutter war nicht ihr allein das Aufenthalts­bestimmungs­recht zu übertragen und dem Kindesvater ein annähernd gleich häufiges Umgangsrecht einzuräumen. Denn die Unfähigkeit der Eltern, sich im Interesse und zum Wohl ihres Kindes D... dauerhaft zu einigen gebietet es, einem neutralen Dritten - dem Jugendamt - die Entscheidung zum Aufenthalt des Kindes zu überlassen, um den zu erwartenden Streit im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts zu vermeiden und für D... endlich eine dauerhafte Lösung zu finden, die seinem eindeutig geäußerten Willen entspricht.

Da beide Eltern ihren Sohn lieben und das Beste für ihn wollen, kann angenommen werden, dass sie nunmehr in der Lage sind, an den erforderlichen Maßnahmen mitzuwirken, mit der Folge, dass der Entzug der elterlichen Sorge für den Teilbereich Aufenthaltsbestimmung dem Senat als ausreichend erscheint. Das Jugendamt, das zum Pfleger bestimmt wird, wird im engen Kontakt mit den Eltern zu entscheiden haben, in welchem Rhythmus sich das Kind D... im jeweiligen Haushalt der Kindesmutter bzw. des Kindesvaters aufzuhalten hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs. 1 S. 1 FGG.

Anmerkungen

Von strukturkonservativen Familiengerichten wird der Willen von Kindern nach hälftigem Umgang bzw. mehr Umgang mit dem Vater regelmäßig mit der stereotypen Phrase abgewertet, es ginge ihnen ja "nur" um eine für beide Elternteile faire Regelung des Umgangs. Daraus wird dann zweierlei abgeleitet. Zum einen würde das Kind diesen Wunsch nur unter dem Druck der Erwartungshaltung des Vaters äußern. Zum zweiten würde das Kind durch dieses ihm quasi aufgezwungene Bestreben belastet, weil es sich für die gerechte Ausgestaltung des Umgangs verantwortlich fühle.

Solche Äußerungen von Sachverständigen bzw. Richtern sind gleich aus mehreren Gründen in Frage zu stellen bzw. auch partiell unlogisch.

Zuerst einmal setzen diese Argumentation als selbstverständlich voraus, das Kind würde sich ja eigentlich einen Aufenthaltsschwerpunkt bei der Mutter wünschen. Richtern, die von dieser Annahme ausgehen, erschließt sich nicht die simple Tatsache, dass Kinder ihre Väter manchmal genauso lieben wie ihre Mütter oder auch ebenso gerne Zeit bei ihnen verbringen - zumal Mütter und Väter häufig unterschiedliche Bedürfnisse des Kindes erfüllen und die vom Vater erfüllten Bedürfnisse für das Kind möglicherweise den gleichen Stellenwert haben. Zum zweiten wäre es natürtlich auch durchaus möglich, dass das Kind eigentlich sogar lieber seinen Lebensmittelpunkt beim Vater hätte, aber aus Rücksicht auf die Mutter lediglich einen hälftigen Umgang wünscht. Drittens ist es irrational zu glauben, die Mißachtung seines Willens würde Belastungen des Kindes verringern. Denn wenn sich das Kind tatsächlich von dem Gedanken leiten läßt, es müsse zwischen den Eltern gerecht zugehen, wird es die Situation gewiß nicht als gerecht bewerten, nur weil es der Richter war, der die Besitzansprüche der Mutter befriedigt hat. Naheliegender ist das Fortdauern des Gefühls der Verabtwortlichkeit oder sogar das Entstehen von Schuldgefühlen, motiviert durch das Empfinden, sich nicht genügend für das Erreichen einer gerechten Lösung eingesetzt zu haben und immer wieder genährt im Alltag, der es die ungleichwertige Verteilung des Umgangs mit den daraus resultierenden Folgen erleben läßt.

Genau dies hat mutmaßlich auch das Gericht erkannt und deshalb gesagt, bei Mißachtung des vom Kind geäußerten Willens würden negative Folgen befürchtet. Deshalb und weil möglicherweise auch die unter 1.) oder 2.) genannten Gründe zutreffen könnten, ist es sehr zu begrüßen, daß der Fairneßgedanke in diesem Beschluss nicht denunziert wurde. Bemerkenswert ist, dass sowohl die Mitarbeiterin des Jugendamts als auch die Verfahrens­pflegerin in der Mißachtung des Kindeswillens durch die Eltern die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung gesehen haben. Andernorts sorgt gerade das Jugendamt durch bedingungslose Unterstützung der Mutter um den Preis der Vergewaltigung des Kindeswillens für erhebliche Frustrationen der Kinder, die sich einer allmächtigen Allianz aus besitz­ergreifender Mutter, Gericht, Jugendamt, Gutachter und Verfahrensbeistand ausgeliefert sehen, woraus zwangsläufig psychische Schäden resultieren müssen.

Des Weiteren ist hervorzuheben, dass - entgegen der Doktrin anderer OLGs - ein Wechselmodell befürwortet wurde, obwohl die Eltern immer noch heftig auf der Trennungsebene streiten, an sich nur unter Mediation einvernehmlich handeln könnten, aber sogar weitere Mediationen abgelehnt haben. Angesichts dieses Szenarios darf vermutet werden, dass die Richter, dem gesunden Menschenverstand folgend, gerade deshalb auf eine paritätische Doppelresidenz erkannt haben, um mittelfristig die Zerstrittenheit der Eltern einzudämmen und dafür zu sorgen, dass der Vater den Kontakt mit seinem Kind aufgrund der ihm zugefügten Demütigungen oder zu großen Leidensdrucks durch eine unbefriedigende Umgangsregelung nicht ganz abbricht.

Wichtige Hinweise zum Familienrecht
  1. "Nur das Familienwohl verwirklicht das Kindeswohl."
  2. "Familie und staatliches Gesetz passen schlecht zueinander. Das verbindende Prinzip der Familie ist die Liebe, das des Staates die Gesetzlichkeit. Dem Staat ist es nie gelungen, ein Familienrecht zu schaffen, das der Familie gerecht wird."
  3. "Um häusliche Verhältnisse, also die Familienverhältnisse, konnte vor einem Gericht nicht gestritten werden. Haus und Familie waren somit ursprünglich autonom und gerade dadurch Grundlage des Gemeinwesens."
  4. "Die Verrechtlichung ist Verstaatlichung der Familienverhältnisse und Auflösung der Familie in einzelne Rechts­verhältnisse. Das hat der Familie und dem Staat mehr geschadet als genützt."
  5. "Es kennzeichnet den totalen Staat, dass er die Menschen auch in den Familien reglementiert und das Familienprinzip zurückdrängt."
  6. "Die Ordnungsmacht beansprucht heutzutage auch in der Familie allein der Staat. Damit hat der Staat das wohl wichtigste Element der Gewaltenteilung beseitigt und sich vollends zum totalen Staat entwickelt." [1]


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