Kachowkaer Stausee
Der Kachowkaer Stausee (russisch Каховское водохранилище; ukrainisch Каховське водосховище) lag im Süden der Ukraine am Unterlauf des Dnepr[wp] in der Schwarzmeerniederung[wp] und stellte die letzte (untere) Stufe einer Serie von sechs Stauseen entlang des Dnepr dar. Der Stausee[wp] war nach der am Ufer gelegenen Stadt Kachowka benannt und lag in den drei ukrainischen Verwaltungsbezirken Dnipropetrowsk[wp], Saporischschja und Cherson. Er hatte eine Größe von 2155 km², fasste regulär 18,2 Mrd. m³ Wasser und wies eine maximale Wassertiefe von 32 Metern auf.[1][2] Wegen seiner gewaltigen Abmessungen wurde er auch als "Meer" bezeichnet.
Die Staumauer sowie das Wasserkraftwerk Kachowka wurden am 6. Juni 2023 während des Ukraine-Krieges zerstört, so dass der Stausee als solcher auch nicht mehr vorhanden ist.[3]
Ohne diesem Stausee mangelt es dem nahen Kernkraftwerk Enerhodar (vormals Kernkraftwerk Saporischschja) an Kühlwasser und Stromversorgung. Es ist seit April 2024 vollständig kaltabgeschaltet.
Der Kachowkaer Stausee ist Teil der Dnepr-Wasserstraße und integraler Bestandteil einer nach Beendigung des Ukraine-Krieges zu schaffenen binationalen Zone.

Beschreibung
Stausee
Der Stausee umfasste eine Gesamtfläche von 2.155 km² in den Oblasten Cherson, Saporischschja und Dnipropetrowsk. Er war 240 Kilometer lang und bis zu 23 Kilometer breit. Die Tiefe schwankte zwischen drei und 26 m und betrug im Durchschnitt 8,4 m. Das gesamte Wasservolumen betrug 18,2 km³. Durch den Kachowka-Damm wurde der natürliche Wasserstand des Dnjepr um 16 Meter angehoben. Er diente vor allem der Versorgung von Wasserkraftwerken, dem Krasnoznamianka-Bewässerungssystem, dem Kachowka-Bewässerungssystem, Industrieanlagen wie dem 5,7-GW-Kernkraftwerk Enerhodar, Süßwasserfischfarmen, dem Nord-Krim-Kanal und dem Dnepr-Krywyj-Rih-Kanal[wp]. Durch seine Errichtung entstand eine Tiefwasserroute für Schiffe auf dem Dnjepr.
Staudamm
Der Kachowka-Damm war ein 1956 fertiggestellter und 2023 zerstörter Staudamm am Dnjepr in der Oblast Cherson, der das Wasserkraftwerk Kachowka mit Wasser versorgte. Die Hauptzwecke des Staudamms waren die Stromerzeugung aus Wasserkraft, die Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen und die Schifffahrt. Es war der sechste und letzte Damm der Dnjepr-Stauseekaskade[wp]. Die Straße R47 und eine Eisenbahnlinie überquerten den Dnjepr auf dem Damm.
Kraftwerk
Das Wasserkraftwerk war ein in den 1950er Jahren gebautes Laufwasserkraftwerk mit einer Leitung von 357 MW.
Schleuse
Für die Durchfahrt von Flussschiffen wurde eine einsträngige Einkammer-Schifffahrtsschleuse mit Auslauf und stromabwärts gelegener Fahrrinne am linken Ufer verwendet. Die Schleuse ist zur stromaufwärts gelegenen Seite hin verlängert und besteht aus einem Oberhaupt, einer Kammer, einem Unterhaupt und einem zusätzlichen Dockabschnitt mit Straßen- und Eisenbahnbrückenübergängen, der sich hinter dem Unterhaupt befindet. Am Unterhaupt befinden sich zweiflügelige Tore und am Oberhaupt flache Tore. Das Versorgungssystem der Schleuse ist verteilend und erfolgt über Längsgalerien mit Auslässen über die gesamte Länge der Kammer. Die Länge der Schleusenkammer beträgt 320 Meter, die Breite 18 Meter, die Zeit zum Füllen und Entleeren der Kammer zehn Minuten. 3264 Tausend Meter Beton wurden in die Schleuse gegossen. Auf der stromaufwärts und stromabwärts gelegenen Seite wurden die Schleusenkammern und -köpfe durch Schleusendämme, deren Böschungen mit Betonplatten befestigt wurden, vor Wellenschlag geschützt. An die Schleuse schloss sich ein 1,4 Kilometer langer stromabwärts gelegener Zufahrtsdamm mit Liegeplätzen und eine stromaufwärts gelegene Mole (die auch als Anlegemauer dient) an, bei der es sich um eine Stahlbetonwand mit 37 Abschnitten von je 24 Meter Länge handelte. Neben dem oberen Pfeiler wird der stromaufwärts gelegene Hafen der Schleuse durch einen separaten Wellenbrecherdamm von 1,1 Kilometer Länge und einer maximalen Höhe von 17,2 Meter gebildet.
Geschichte
Bau
Infolge des Baus der Staustufe für das Wasserkraftwerk Kachowka (von 1950 bis 1955) wurde der Dnepr von 1955 bis 1958 zwischen den Städten Nowa Kachowka und Saporischschja[wp] eingestaut. Mit dem Bau sollte die Bewässerung[wp] für nachhaltige Ernteerträge im Süden der Ukraine einschließlich der Krim gesichert, die hochproduktive Viehzucht weiterentwickelt und die Erzeugung von elektrischer Energie aus Wasserkraft[wp] gesteigert werden. Eine weitere wichtige Funktion war die Verbesserung der Schifffahrt auf dem Dnepr durch die Regulierung der Wasserstände oberhalb und unterhalb der Stauanlage. Diese wurde durch eine Schleuse[wp] mit ca. 15–16 m Hubhöhe für Schiffe passierbar gemacht.[1][2]
Zerstörung der Staumauer
Während des Ukraine-Krieges geriet der Stausee ab Ende Februar 2022 unter russische Kontrolle.[4] Am 6. Juni 2023 gegen 02:50 Uhr Ortszeit wurde die bis dahin von Russland kontrollierte Staumauer zerstört. Die Ukraine beschuldigte Russland, die Staumauer gesprengt zu haben, und sprach von einem "Terrorakt"; Russland dagegen machte ukrainischen Beschuss für die Zerstörung verantwortlich. Bis zu 80 Ortschaften flussabwärts waren von Überschwemmungen bedroht und der Nord-Krim-Kanal war weitgehend von seiner Wasserversorgung abgeschnitten. Nach Angaben der örtlichen Behörden lebten etwa 16.000 Menschen in der "kritischen Zone".[3][5]
Das massive Wasserablassen zu Jahresanfang 2023 unter russischer Kontrolle des Damms auf einen Pegelstand wie zuletzt in den 1960er Jahren wurde als Vorbereitung für eine angedachte Sprengung der Mauer interpretiert.[4] Am 6. Juni zum Zeitpunkt der Zerstörung der Staumauer lag der Stauseespiegel am Pegel des KKW Saporischschja bei 16,8 m, um 08:00 Uhr bei etwa 16,4 m. Er sank dann tagsüber um etwa 5 cm je Stunde ab.[6]
Laut ukrainischem Rettungsstab waren bis zum 12. Juni 14,4 km³, also 72 Prozent des zum Zeitpunkt der Staumauerzerstörung gespeicherten Seeinhalts von 20 Mrd. m³ ausgelaufen.[7]
In einem investigativen Beitrag vom 16. Juni 2023 rekonstruierte die New York Times die Geschehnisse in den frühen Morgenstunden vom 6. Juni 2023 anhand von Video- und Fotoaufnahmen, Infrarot-Satellitenbildern, seismischen Messungen sowie Befragungen von technischen und militärischen Fachpersonen und Ohrenzeugen, die beidseits des Flusses lebten. Die Autoren belegten, dass am 6. Juni 2023 - im Gegensatz zu früheren Schäden - nicht nur Verkehrswege und Schütze, sondern im Mittelteil der Staumauer auch die überströmbare Wehrschwelle, welche größtenteils unterhalb des Wasserspiegels lag, zerstört wurde. Eine Zerstörung dieses ursprünglich rund 20 m hohen und in Fließrichtung 40 m langen, massiven Betonbauwerks sei nicht durch äußere Einwirkungen, wie einen Luftangriff, zu erklären. Auch ein schleichendes Voranschreiten von zuvor bestehenden (Kriegs-)Schäden oder durch Unterströmung des Wehrkörpers könne ausgeschlossen werden. Es gebe keinen Grund für die Annahme, dass dieser Teil des Wehrs einen entsprechenden Schaden erlitten haben oder unzureichend gewartet worden sein könne. Auch Mängel bei Planung und Bau in den 1950er Jahren seien als Ursache unrealistisch. Vielmehr sprächen die seismischen Messungen, Satellitenaufnahmen wie auch Ohrenzeugenberichte eindeutig für Explosionen.
Staustufe Kachowka mit Wasserkraftwerk
Das Wasserkraftwerk Kachowka lag bei Nowa Kachowka und hatte eine installierte Leistung von 334,8 MW (6 × 55,8 MW). Das Kraftwerk gehörte dem ukrainischen Unternehmen Ukrhidroenerho[wp] (Укргідроенерго). Das zugehörige Absperrbauwerk des Stausees bestand aus einem Staudamm[wp] und einer überströmbaren Gewichtsstaumauer[wp] aus Beton, die mittels segmentweiser Anordnung von 28 Schützen[wp] zur Regulierung des Wasserstands diente.[2]
Insgesamt war das Absperrbauwerk 3629 m lang, davon soll der Damm einen Anteil von 2970 m und die Mauer von 437 m gehabt haben. (Das ergibt in Summe 3407 m, das Kraftwerksgebäude deckt weitere ca. 160 m ab, somit differieren die Zahlen um ca. 60 m, die möglicherweise der Schleuse zuzurechnen sind.) Längs über den Damm und die Staumauer führten eine Straße sowie ein Bahngleis, die beide Dnepr-Ufer miteinander verbanden.
Geographie
Die Länge des Stausees betrug 230 km, die durchschnittliche Breite 9,4 km (maximal 24 km), seine Oberfläche 2155 km², und er fasste ein Wasservolumen von 18,2 km³ bei einem Vollstauspiegel von 16 m (Nominal: Kronstädter Pegel[wp][8]).[9] Nutzbar waren 6,8 km³ Wasservolumen, was einer Absenkung auf die minimale Stauhöhe von 12,7 m entspricht.[6][4] Der durchschnittliche Wasserstand in den Jahren 1958 bis 1998 lag bei 15,6 m. Der vor der russischen Invasion erreichte Höchststand betrug 16,47 m und wurde 1969 gemessen. Der tiefste Stand (vor der Sprengung der Staumauer) wurde 1960 mit 12,71 m erreicht.[9] Unterhalb eines Pegels von 12,7 m ist die reguläre Kühlwasserzufuhr für die am Südufer gegenüber von Nikopol[wp] gelegenen Kernkraftwerk Enerhodar und Wärmekraftwerk Enerhodar nicht mehr gewährleistet.[6][4] Die durchschnittliche Wassertiefe bei Normalwasserstand betrug 8,4 m (max. 32 m). Die Uferlinie war 896 km lang.[1][2][10]
Der Dnepr durchfloss den Kachowkaer Stausee. Etwa 200 Kilometer oberhalb des Kachowkaer Stausees befindet sich bei Saporischja der Stausee Dneprostroi[wp] ("Dnepr-Stausee") mit dem Wasserkraftwerk "DniproHES"[wp]. Unterhalb der Kachowkaer Talsperre verläuft der Dnepr in Richtung Westen, passiert Cherson und mündet ins Schwarze Meer.
Neben der Energiegewinnung aus Wasserkraft wurde der Kachowkaer Stausee für die Schifffahrt, landwirtschaftliche Bewässerung (sein Wasser ermöglichte u. a. den Anbau von Wein, Obst und Reis), Trinkwasserversorgung und Fischerei genutzt.[2][10] Darüber hinaus diente er als Erholungsgebiet.[1] Mit dem Nord-Krim-Kanal nimmt hier das ehemals größte und komplexeste Bewässerungssystem[wp] Europas seinen Anfang, das bis ins Jahr 2014 unter anderem 85 Prozent der Trinkwasserversorgung der Halbinsel Krim sicherstellte.[11] Russland machte im Februar 2022 den Kanal wieder für Wasser zur Krim durchgängig.[4]
Auch der Kachowka-Kanal und der Dnepr-Krywyj-Rih-Kanal[wp] zweigten vom Kachowkaer Stausee ab. Letzterer führt Trinkwasser zur Stadt Krywyj Rih[wp].
Am Stausee befanden sich die Stadt Nikopol[wp] mit einem Hafen, die Städte Tawrijsk[wp], Kachowka, Kamjanka-Dniprowska[wp], Enerhodar, Dniprorudne[wp] und Marhanez[wp] sowie die Siedlungen städtischen Typs[wp] Wessele[wp], Wassyliwka[wp], Nowoworonzowka[wp], Welyka Lepetycha[wp] und Hornostajiwka[wp].
Literatur
- Ihor Pylypenko, Daria Malchykova: Der Kachovka-Stausee - Wirtschaftsmotor und Kriegsschauplatz., in: Osteuropa[wp], Nr. 1-2, 2023, S. 53-60 (PDF).
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 А. В. Яцик, В. А. Яцик: Каховське водосховище, Енциклопедія Сучасної України 2012, abgerufen am 21. Oktober 2022 (ukrainisch)
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Каховська ГЕС – стійкий розвиток та підтримка регіону, Ukrhidroenerho, Betreiberfirma des WKW Kachowka, 18. Dezember 2019 (ukrainisch)
- ↑ 3,0 3,1 Ukraine: Russland soll Staudamm bei Cherson gesprengt haben, Tagesschau am 6. Juni 2023
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 Ihor Pylypenko, Daria Malchykova, Anselm Bühling: Der Kachovka-Stausee - Wirtschaftsmotor und Kriegsschauplatz, Osteuropa[wp], Redaktion Osteuropa, Berlin, 2023
- ↑ Kachowka-Staudamm: Wolodymyr Selenskyj beruft Krisensitzung ein - Überschwemmungen drohen, Zeit online am 6. Juni 2023
- ↑ 6,0 6,1 6,2 IAEA Director General Statement to the IAEA Board of Governors, Internationale Atomenergie-Organisation am 6. Juni 2023 (englisch)
- ↑ Liveblog: ++ Scholz, Macron und Duda sichern Ukraine weitere Hilfe zu ++, Tagesschau, abgerufen am 13. Juni 2023
- ↑ Update 162 - IAEA Director General Statement on Situation in Ukraine, IAEA am 7. Juni 2023 (englisch)
- ↑ 9,0 9,1
Natinonal Report of Ukraine - Stress Test Results[ext], 2011 (125 Seiten), STATE NUCLEAR REGULATORY INSPECTORATE OF UKRAINE
- ↑ 10,0 10,1 Сергій Яновський: Каховське море перетворюється на великий ставок, Голос України (Voice of Ukraine) am 26. April 2019 (ukrainisch)
- Anreißer: У Херсонській області через кліматичні зміни міліє Каховське море.
- Deutsch: Das Kachowka-Meer verwandelt sich in einen großen Teich
- Das Kachowka-Meer in der Region Kherson schrumpft aufgrund des Klimawandels.
- ↑ Julia Kusznir: Analyse: Russische Infrastrukturprojekte auf der Krim - eine Bestandsaufnahme, Bundeszentrale für politische Bildung am 23. Mai 2018
Querverweise
Netzverweise
- Commons: Kachowkaer Stausee – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
- Wasserstand des Kachowkaer Stausees seit 2016
- Nach Kachowka-Katastrophe. Ein Stausee wird zum Urwald, tagesschau.de am 5. September 2024